abgelehnt hatte und seine Instrumentalisierung als politische Waffe auf einer
unsachgemäßen Beurteilung des teilautonomen Saarstaates beruhte.
Anknüpfungspunkte bietet die „Adenauer-Kontroverse“ auch für die Diskussion
über die politische Kultur und das politische System der frühen Bundesrepublik.
Hier wird deutlich, wie sich die Bundesrepublik in manchen Politikbereichen nur
langsam von älteren politischen Ansätzen löste. Ein typisches Beispiel dafür ist die
allmähliche Ausschaltung von Gustav Strohm, der nach 1945 zunächst die Saar¬
politik der Zwischenkriegszeit reaktiviert hatte, später die antiautonomistische
Linie des Ministeriums für Gesamtdeutsche Fragen mitgestaltete und ab 1952 stark
an Einfluss auf die zentralen politischen Entscheidungsprozesse verlor. Gleicher¬
maßen belegt der trotz allem heftige innenpolitische Widerstand gegen die von
Adenauer betriebene Durchsetzung der Pariser Verträge, dass auch unter der so¬
genannten „Kanzlerdemokratie“ innerhalb der Parteien und bis in die Bundes¬
regierung hinein breiter Raum für konkurrierende politische Konzepte bestand.
Ein dritter Bezugspunkt für die „Adenauer-Kontroverse“ ist schließlich die Posi¬
tion der Bundesrepublik im internationalen Beziehungsgeflecht. Die Saarfrage
stellte 1954/55 eine Art „Nagelprobe“ für die Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit
der Bundesrepublik als Partner ihrer westlichen Verbündeten - und insbesondere
Frankreichs - dar. Das Ziel, auch nach der Saarabstimmung und unabhängig von
ihrem Ausgang weiter - möglicherweise sogar besser - mit seinen Partnern in
Westeuropa und Nordamerika Zusammenarbeiten zu können, mag für Adenauer vor
diesem Hintergrund oberste Priorität besessen haben. Ebenso konnte die Saarfrage
als Testfall für die Fähigkeit der westlichen Staatengemeinschaft gelten, innere
Konflikte auf dem Verhandlungsweg beizulegen. Würde die westliche Welt diesen
alten, historisch und politisch hochgradig belasteten Konflikt auf eine Weise lösen
können, die den von ihr propagierten Werten und Prinzipien entsprach? Dieser
Nachweis war nicht nur in der zeitgenössischen Situation wichtig, sondern ist bis
heute für die Bewertung europäischer Politik entscheidend geblieben. Insofern war
die „Adenauer-Kontroverse“ ein Teil jenes politischen Lernprozesses, der - so
Armin Heinen - die Lösung der Saarfrage zum „moralischen Vorzeigeobjekt des
Westens“ werden ließ.
Die Umsetzung der „kleinen Wiedervereinigung“
Mit dem Rücktritt der Regierung Hoffmann unmittelbar nach dem Bekanntwerden
des Abstimmungsergebnisses war ein wesentliches Ziel der neuen bundesdeutschen
Saarpolitik erreicht. Nicht zuletzt deshalb wurden die Aufgaben der Bonner Saar¬
politik nach dem Referendum neu formuliert. Indem der Ausgang der Abstimmung
als ein eindeutiges Mehrheitsvotum der Saarländer für Deutschland interpretiert
wurde, machte die Bonner Regierung die Auflösung des teilautonomen Saarstaates
und seine Eingliederung in die Bundesrepublik zum neuen Ziel ihrer Politik. Je¬
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