Die ab 1952 einsetzende Verlagerung der Saarfrage auf die europäische Ebene,
welche mit dem Naters-Plan und dem Teitgen-Adenauer-Protokoll ihren Höhe¬
punkt finden sollte, stellte daher für die bundesdeutsche Saarpolitik einen hilfrei¬
chen Ausweg dar.32 Eine Europäisierung der Saar erschien wohl zumindest jenem -
zum damaligen Zeitpunkt bereits überwiegenden - Teil der bundesdeutschen
Politiker als vielversprechende Lösung, die zu diesem Zeitpunkt nur noch an einer
Beseitigung des Konfliktherdes auf dem Weg zum Ausbau der Souveränität und
zur Westbindung der Bundesrepublik interessiert waren. Widerstände in der
öffentlichen Meinung bestanden zwar nach wie vor, doch hatten mittlerweile auch
wichtige Teile der Presse den Europa-Gedanken als mögliches Lösungsinstrument
aufgegriffen. Zu einer Fundamentalopposition waren nur noch wenige Politiker
bereit. Vor diesem Hintergrund sind auch die Reaktionen auf die faktische
Ablehnung der EVG durch die französische Nationalversammlung zu verstehen.
Der in Straßburg skizzierte Weg konnte auch danach weiter fortgesetzt werden,
weil er immer noch eine vergleichsweise gut zu vermittelnde Lösung für die -
innenpolitisch zunehmend belastende - Saarfrage und zudem die Möglichkeit zur
Realisierung übergeordneter außenpolitischer Zielsetzungen versprach.
Auch gegenüber dem teilautonomen Saarland eröffnete die europäische Lösung
Handlungsmöglichkeiten für die bundesdeutsche Politik. Nachdem der Versuch der
direkten Beeinflussung bei den Landtagswahlen des Jahres 1952 gescheitert war,
hatte man mit dem Verbot des Industrieverbandes Bergbau (IV Bergbau) im Jahr
1953 eine weitere Verletzung demokratischer Prinzipien hinnehmen müssen, ohne
über geeignete Gegenmaßnahmen zu verfügen. In der Bundesrepublik spekulierte
man daher auf eine evolutionäre Lösung. Sobald die politischen Freiheiten im
Saarland ausgeweitet und oppositionelle Kräfte zugelassen würden, könne man -
so das Kalkül - die des Separatismus bezichtigten saarländischen Politiker ent¬
machten. Die geeigneten Instrumente für dieses Ziel erhoffte man sich von einer
europäischen Lösung und von entsprechenden Passagen in einer vertraglichen
Regelung mit Frankreich.
Dennoch war es nicht selbstverständlich, als letztlich im Oktober 1954 eine
Übereinkunft zwischen Frankreich und der Bundesrepublik über ein europäisches
Statut der Saar herbeigeführt werden konnte.33 Der Vertrag war in innenpolitischer
Hinsicht sogar so brisant, dass der Bundeskanzler sich vorab erst der Zustimmung
der führenden Fraktions- und Parteivorsitzenden im Deutschen Bundestag ver¬
sichern wollte - die eigens dafür nach Paris einbestellt wurden.34 Zweifellos wur¬
den in Paris Erfolge erzielt. Dazu zählte beispielsweise die Zulassung oppositio¬
neller Parteien, wenngleich deren Recht auf freie Agitation zeitlich eng beschränkt
32 Vgl. die Quellen Nr. 47 u. 67.
33 Vgl. die Quellen Nr. 70a u. 71a,
34 Vgl. Quelle Nr. 72.
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