2. Die Saarfrage und Frankreich
Die Vierte Republik und das historische Erbe französischer Saarpolitik
Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Haltung Frankreichs als Besatzungsmacht
gegenüber Deutschland in starkem Maße historisch belastet. Die weit verbreitete
antifranzösische Propaganda hatte in Deutschland zugleich auch eine überwiegend
negative, oft feindselige Einstellung gegenüber dem westlichen Nachbarn geför¬
dert. Tief verankert war in vieler Bewusstsein auch die Erinnerung an historische
Ereignisse, die teilweise bis in das 17. Jahrhunderts - die Zeit des Pfälzischen Erb¬
folgekrieges - zurückreichte. Ein unbefangenes oder gar vertrauensvolles Verhält¬
nis zwischen der deutschen Bevölkerung und den französischen Besatzern wurde
zudem dadurch erschwert, dass Frankreich als „verspätete Siegermacht“ - vor
allem im Gegensatz zu den Nordamerikanem - der Rolle eines überlegenen Siegers
nur schwer gerecht werden konnte. Besonders in den ersten Wochen und Monaten
nach der Einrichtung der Besatzungszone mangelte es dem französischen Militär
und seiner zivilen und militärischen Verwaltung an materiellen Ressourcen.
An der Saar traten negative Erfahrungen der Zwischenkriegszeit hinzu. Die
„Mokkscher“, wie die aus den Kolonialgebieten stammenden Truppenteile im
Volksmund genannt wurden, standen symbolisch für die Überwältigungsphantasien
und -ängste, welche durch die Anwesenheit der französischen Truppen geweckt
wurden. Ein betont strenges Auftreten der Besatzungstruppen gegenüber der deut¬
schen Zivilbevölkerung - in Vorwegnahme vermeintlicher „deutscher“ Erwar¬
tungshaltungen als notwendig angesehen - verstärkte die ablehnende Einstellung
ebenso wie Requisitionen, mit denen anfangs der unmittelbare Bedarf der Besat¬
zungsverwaltung gedeckt werden musste, sowie Plünderungen und Übergriffe
freigelassener Kriegsgefangener und Zwangsarbeiter zahlreicher Nationen. Nicht
wenige befürchteten außerdem, neuerlich zum Gegenstand französischer Ausbeu-
tungs- und Annexionspläne zu werden.
Wenngleich sich die französische Saarpolitik in vielen Bereichen von der
allgemeinen Deutschlandpolitik unterscheiden sollte, hing die Saarpolitik immer
auch von den generellen Faktoren französischer Außenpolitik nach Kriegsende ab.
Die repressive deutsche Besatzungspolitik und die Ausbeutung französischer Res¬
sourcen für die deutsche Kriegswirtschaft wirkten nun auf die französische
Deutschlandpolitik zurück, wobei die nach Kriegsende in Frankreich praktizierte
Tabuisierung der Kollaboration diese Wirkung eher verstärkte als abschwächte.
Der Ruf nach Vergeltung und nach Nutzung deutscher Ressourcen für den franzö¬
sischen Wiederaufbau kennzeichnete den überwiegenden Teil der öffentlichen Dis¬
kussion in Frankreich. Andere Stimmen, die auf eine künftige Kooperation mit
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