Nach dem feierlichen Gastmahl und der Verabschiedung der Turnierteilnehmer ziehen
sich Lewe und Florendne in ihre Kammer zurück und spielen Schach. Die Nacht vor
der Hochzeit verbringen beide getrennt. Lewe begleitet den König und seine Tochter bis
an die Burg/ 0 Auf dem Rückweg in die Stadt erinnert der Weiße Ritter Lewe an sein Ver¬
sprechen. Nachdem er dem übernatürlichen Helfer das Königreich überreichen will, of¬
fenbart er sich als Gottesbote und verspricht Lewe, ihm in Notzeiten stets zu helfen, so
lange er gottesfürchtig lebe (Bl. 109ч-112/.
(Bl. 109v/Abb. 36): Vor den ¥ enstemischen von Florentines Kammer verläuft eine bank mit deko¬
rativen Aussparungen, ln der Mitte des Raumes steht ein quadratischer Höllisch, an dem Florentine
und Lern Schach spielen. Er, die Krone Siziliens auf dem Kopf sitzt, die Beine unter dem Tisch überei¬
nander geschlagen, auf einem wulstigen Kissen. Florentine, über das schwarcpveiß karierte Spielbrett ge¬
beugt und den nächsten Zug spielend, sitzt auf einem Scherenstuhl am Tisch.
Der Zeichner unterteilte den Bildstreifen durch eine schräg gestellte Wand in %wei Kompartimente.
Links im Saal steht der König vor seinem erhöhten Thron und verabschiedet Lewe, der sein rechtes Bein
auf die erste Thronstufe gesetzt hat, mit einem Händedruck. Florentine steht neben ihm, so dass von ihr
im Profil lediglich der Kücken und die lange Schleppe ihres Kleides %u sehen sind. Rechts stellte der Illust¬
rator Lewes Verabschiedung von Florentine in einem schmucklosen Raium dar.
Vor den Toren der Stadt, die hinter einem Hügel mit Büschen qiim Vorschein kommt, geben sich Le¬
we und der Weiße Rätter %ur Bekräftigung ihrer Vereinbarung die Hand. Gleichseitig deutet er auf die
Erscheinung Gottes, der über derflachen, kaum bewachsenen Ebene in einer Wolke schwebt und bekräf¬
tigt damit seine Funktion als Bote Gottes, der in Halbfigur als alter Mann mit schulterlangen Haaren,
geteiltem Vollbart und einer Mitrenkrone dargestellt ist. Die rechte Hand erhebt er srgmi Segensgestus, in
der linken präsentiert er die Sphairaß
Zu Mitternacht weckt Weckholder Florentine, damit sie sich für ihre vermeintliche
Hochzeit mit Lewe anziehe, und führt sie in einen Garten. Weckholder und der Herzog
von Kalabrien treffen vor der Burg zusammen. Unterdessen wartet Florentine geduldig
im Garten auf Weckholders Wiederkehr (Bl. 115 —116/.
(Bl. 113r/Abb. 37): Der Zeichner unterteilte den ersten Bildstreifen der ganzseitigen Miniatur in
Zwei Felder. Links ist Florentines Kammer dargestellt. In der Mitte des Ruiumes steht ein Bett, auf dessen
Bettkante, den rechten Fuß auf die Fürbank gestellt, Weckholder die Decke beiseite fehl, um Florentine
aufzuwecken. In Rückenansicht wendet sich Weckholder zur Königstochter und hebt die linke Hand zum
Redegestus. Florentine liegt mit offenen Augen auf einer hohen Matratze, bis zur Brust mit einem Laken
395 Im Mittelalter galt das Schachspiel nicht nur als gesellschaftliches Vergnügen, vielmehr ist es die Allego¬
rie auf die soziale Ordnung der mittelalterlichen Stände. Auch das Spiel um Liebe und Macht wurde mit
dem Schachspiel assoziiert. Die Darstellungen besonders des 14. und 15. Jahrhunderts, in denen Männer
und Frauen zusammenspielen, enthalten durchwegs amouröse Anspielungen, sodass das Spiel als
Gleichnis der Liebe gesehen wurde. Vgl. hierzu STEINMANN 1938, S. 850; ROSENFELD 1978, S. 152f.;
Jaeger/Jaeger 1988, S. 7; Faber 1988, S. 33f.; Petschar/JÄSZAI 1995, Sp. 1427-1431, bes. Sp. 1429;
Camille 1998, S. 124; Bartz/Karnei 1994, S. 39; Moxey 1985, S. 44f.
396 In der Erzählung begleitet Lewe den König von Sizilien und Florentine auf die Burg, obwohl das Gast¬
mahl und die Verabschiedung der Turnierteilnehmer bereits dort stattgefunden haben.
39 Allgemein zur Sphaira vgl. SCHRAMM 1958, S. 29—54 mit Tafel 26f. Abb. 54 a—e.
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