Nach dem Turnier speisen der König, Florentine und ihre zwölf Hofdamen im Palast.
Florentine fragt ihren Vater, wer der kühnste Ritter im Turnier gewesen sei und wer den
Preis gewinnen solle. Der König entscheidet sich für Lewe. Daraufhin schickt Florentine
heimlich ihren Diener Samson mit der Nachricht in die Herberge zu Lewe, der ihm als
Botenlohn ein Pferd schenkt (Bl. 1 Ol'—102').
(Bl. 99r/Abb. 32): Im ersten Bildstreifen ist die festliche Tafel im Talast gezeigt. An deren Stirnseite
sitzen der König und seine Tochter Tlorentine. Um sie herum sind Tlorentines Ehrendamen plattiert,
%wei %ur rechten des Königs und drei bei ihr. Eine Platte mit Speisen, Vorschneidebesteck, Hof brettchen
und Trinkkelche sind aufgedeckt. Vor der Tafel servieren zwei Diener Getränke, der dritte bietet die
Speise an. In der linken Kaumecke wird das Mahl von Musikern, die auf Flöten und Fanfarentrompeten
spielen, begleitet.
Florentine und vier ihrer Damen kommen vor den König, der auf seinem Thron mit hoher Kückenleh¬
ne und Blattknäufen an den Armlehnen sitzt. Die linke Hand stuft der König auf sein Knie, die rechte
ist wie die seiner Tochter zum Kedegestus erhoben. Drei der Damen haben die Arme gekreuzt, eine hat
ihre Schleppe über den Arm gewofen und die letzte trägt ihre Schleppe angehoben neben sich her. Floren-
tines Schleppe wird von einem Tagen mit offenen Haaren und einem Feder geschmücktem Schapel getra¬
gen. Hinter dem Thron des Königs kommt ein Narr Grimassen schneidend hervor.
Der Zeichner wählte eine besondere Kaumaufteilung, indem er durch eine schräg gezeichnete Wand
Zwei Räume gleichzeitig darstellen konnte. Im linken Bildfeld illustrierte der Zeichner die Stube, in der
ein Holztisch sowie eine Holzbank im Anschnitt zp sehen sind. Die Außenwand ist durch eine Sitzni¬
sche durchbrochen. Im I tyrraum der Herberge überreicht der Diener Samson Eewe einen Brief191 Floren-
tines. Als Botenlohn überreicht Eewe Samson ein ungesatteltes Pferd, das hinter ihm steht.
Florentine berät sich mit ihren zwölf Hofdamen, welcher Ritter den Turniersieg verdie¬
ne. Die Ehrendame Weckholder, die Cousine des Herzogs von Kalabrien, preist ihren
Vetter an. Daraufhin streiten die Damen, welcher Ritter gewinnen soll. Letztendlich be¬
stimmt der König Lewe zum Sieger.391 392 Weckholder schreibt dem Herzog von Kalabrien
eine Botschaft mit der Entscheidung des Königs, dieser wiederum schickt eine Antwort
mit dem Plan, Florentine zu entführen. Währenddessen reitet Florentine, begleitet von ih¬
rem Vater und einem Gefolgsmann, auf den Marktplatz von Montlose, um den Sieger zu
krönen (Bl. 102-1091).
(Bl. 99V/Abb. 33): Auf dem ersten Bildviertel sitzt der König von Sizilien mit dem Szepter in der
Hand auf seinem Thron393 im Burghof, der von einer hohen Zinnenmauer umgeben ist. Die Kitter präsen¬
tieren sich vor dem König in ihren Rüstungen, aber ohne Helm, damit er den Sieger benennen kann. In
der Mitte der Ritterschaft hält ein Tumierteilnehmer ein Banner, das im Wind weht.
Der Miniator benutzte die hügelige Eandschaft, um das Versenden der Nachrichten zwischen Weck¬
holder und ihrem Verwandten zeitlich versetzt darstellen zp können. Der mittlere Hügel mit den zwei
391 Zu den Briefnachrichten in der Geschichte um Herzog Herpin siehe VON BLOH 1993, S. 24—49, bes.
S. 29f.
392 Hier bewahrheitet sich die Prophezeiung der Wünschelfrauen, dass er zunächst Armut und Erniedrigung
erfahre, bevor er ein Königreich gewinne (vgl. auch THOMAS 1971, S. 115).
393 Zu dessen Form und Dekor vgl. S. 71 mit Anm. 357 sowie mit Anm. 359.
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