Full text: Die Berliner Herpin-Handschrift in der Staatsbibliothek zu Berlin (Ms. Germ. Fol. 464)

Marie von Blois, Enkelin Karls von Valois (f 1325), von den Kapetingern ab. Dem ent¬ 
spricht die Betonung des französischen Lilienwappens nicht nur im Roman, sondern auch 
im Eberbacher Grabmal ihres Sohnes Philipp, im Gebetbuch ihrer Tochter Margarethe 
und auf einem aus deren Besitz stammenden Berleburger Wappenblatt. Ferner werden im 
Saarbrücker Zyklus eben Huge Scheppel und der lieb heilig sant Ludowig, der heiliggespro¬ 
chene Ludwig IX. von Frankreich (f 1270), schließlich noch Lewe aus dem ,Herpin£, den 
mit dem (den Lothringer Herzogen verwandten) Hause Anjou der Anspruch auf Sizilien 
und Kalabrien verband, mit dem Verwandten-Epitheton lieb benannt.238 Damit konkreti¬ 
siert sich romanhaft die ohnehin vorhandene traditionelle Orientierung Elisabeths von 
Lothringen und ihrer Umgebung an der höfischen Elite Frankreichs und Burgunds. Ihr 
Sohn Johann III. wurde — wie oben erwähnt- Ritter im Ordre du Croissant Renés von 
Anjou. Die Saarbrücker Romane korrespondieren damit — in bescheidenerer Dimension — 
den vom burgundischen Herzog Philippe le Bon veranlassten Chanson-de-geste-Bearbei- 
tungen und etablieren zugleich im deutschen Sprachraum eine neue literarische Form. 
Die Fürsten und der Hochadel kleinerer Höfe, der Landadel und die Patrizier der Städ¬ 
te repräsentieren das Publikum volkssprachiger Literatur im späten Mittelalter.2,9 „Den¬ 
noch waren die ältesten Prosaromane für eine handschriftliche Verbreitung konzipiert. 
Nicht nur ihre Übersetzerinnen — Elisabeth von Nassau-Saarbrücken oder Eleonore von 
Österreich — auch ihre Adressaten waren [...] hochgestellte Personen des Adels.“240 Der 
Adressatenkreis der vier Chansons-de-geste-Adaptionen ist überschaubar und homogen, 
vor allem beschränkt er sich auf die Höfe, zu denen Elisabeth persönliche Verbindungen 
hatte.241 Direkte Nachrichten über eine Bibliothek im Hause Nassau-Saarbrücken fehlen, 
doch wird man davon ausgehen können, dass es einige Bücher in ihrem Besitz gegeben 
hat. Von Margarethe von Rodemachern, Elisabeths Tochter, ist ein Verzeichnis der von 
ihr verliehenen Bücher erhalten, die sie innerhalb der Familie sowie an Geistliche und 
lothringische Adelsfamilien verlieh.242 
Einzelne Handschriften der Adaptionen lassen sich bestimmten Besitzern zuschreiben. 
Aus den erhaltenen Codices zu schließen, legte die ausgewählte Leserschaft besonderen 
Wert auf großzügige Bebilderung. So ist davon auszugehen, dass die Handschriften Auf¬ 
tragsarbeiten waren. Zwar setzte zu dieser Zeit der Buchdruck ein, doch die Abschrift 
umfangreicher Unterhaltungsliteratur war immer noch kostspielig und wurde nicht auf 
238 Ygj zur Bedeutung der Belehnung Lewes mit Kalabrien im ,Herpin‘ BASTERT 2002, S. 466f. Im Epos 
erscheint sogar ein hert^og von Calaber ... der was Lewe sone von Burges in Betry1, ein Bastardsoh. Wenn freilich 
im ,Loher und Malier' als kaiserlicher Heerführer ein König von Sizilien und Herzog von Kalabrien ge¬ 
nannt wird, so kann hier durchaus ein intertextueller Bezug zum vorangestellten ,Herpin' vorliegen. 
239 MÜLLER 1977, S. 71. 
240 Schmitt 1999, S. 54. 
241 LEXMA III, Sp. 1837; MÜLLER 1985, S. 42 Anm. 130; SCHMITT 1999, S. 54; HAUBRICHS 1991, S. 18f.; 
SAURMA-jELTSCH 1994b, S. 19: „Bei ,Pontus und Sidonia', aber auch bei der ,Historie von Herzog Her¬ 
pin' handelt es sich um Texte, die erst kurz vorher ins Deutsche übersetzt worden waren und offenbar 
lediglich höfischen Kreisen vertraut gewesen sind.“ 
242 HAUBRICHS 1991, S. 6f.; HAUBRICHS 2002c, S. 533—538; zur Bücherfreundin Margarethe ferner HERR¬ 
MANN 2013, S. 137-144 und BRÜCKNER 2013, S. 185,187 und S. 199f. 
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