Full text: Die Berliner Herpin-Handschrift in der Staatsbibliothek zu Berlin (Ms. Germ. Fol. 464) (48)

sitz des Alterumswissenschaftlers Johann Gustav Gottlieb Büsching gelangte. Die König¬ 
liche Bibliothek zu Berlin kaufte diesen jedoch aus der Nachlassauktion Büschings auf. 
Nach derzeitigem Kenntnisstand ist eine lückenlose Provenienz für die Berliner Hand¬ 
schrift nicht zu rekonstruieren. 
Die Handschrift aus der Berliner Staatsbibliothek ist seit einigen fahren in der For¬ 
schung bekannt, aber bisher wurden weder zur Ikonographie der Illustrationen noch zur 
Kodikologie nähere Untersuchungen vorgelegt. Die kodikologische Analyse der Hand¬ 
schrift ergab folgende Resultate: Der noch erhaltene Ledereinband der Zimelie ist mit ei¬ 
ner Dekoration aus Blinddruckstempeln verziert, die auf eine Buchbinderwerkstatt um 
Ulm hinweisen. 41 Das Wasserzeichen in Form einer hohen Krone mit zweikonturigen 
Bügeln verweist nach Charles M. Briquet auf Papierbögen, die Hans Vogel und später 
Nicolaus Ketzler in Nürnberg ge- bzw. verkauft haben. 42 Ferner verweisen die Schrift, ei¬ 
ne fränkischen Bastarda des 15. Jahrhunderts, sowie die nordbairisch-ostfränkische Fär¬ 
bung der Sprache auf das Gebiet um Nürnberg. Die unterschiedlich vollendeten Arbeits¬ 
prozesse in der Handschrift deuten auf eine Arbeitsteilung hin: Zu Beginn fertigte der 
Schreiber das textliche Gerüst, in dem bereits die Dispositionen von Text und Bild festge¬ 
legt waren. Anschließend arbeiteten der Illustrator und Rubrikator gleichzeitig an der Fer¬ 
tigstellung. 43 
Indes bleibt unklar, wer für die Konzeption des Bildprogramms verantwortlich war. 
Auffällig sind sowohl der Umfang der Illustrationen, die Disposition vor den Kapiteln als 
auch die langen Erzählpassagen, die durch Bildfolgen in mehrere Sinnabschnitte getrennt 
wurden. Besonders die textnahen Bebilderungen lassen darauf schließen, dass eine genaue 
Kenntnis der Erzählung vorausgesetzt werden kann. Ebenfalls anonym bleibt der routi¬ 
nierte Schreiber der Handschrift, der ohne Lineaturen für den Schriftspiegel auskam und 
selten Fehler innerhalb des Textes durchstrich. Der Initialschmuck des Codex ist eine 
Spätform des Knospenfleuronnes, das auf das Ende des 15. fahrhunderts sowie auf Süd¬ 
deutschland als Entstehungsraum hindeutet. 44 
In den graphisch angelegten Zeichnungen, die ohne Kolorierung auskommen, dienten 
dem Illustrator Kreuzlagen zur Betonung der Schattenpartien und zur Verstärkung der 
Raumillusionen. Diese Art der Zeichentechnik setzt eine Auseinandersetzung mit Licht 
und Schattenpartien voraus, wie sie auch in der Druckgraphik und vorwiegend im Kup¬ 
ferstich vorkommt. Der Illustrator war zweifellos mit dem Medium der Graphik vertraut, 
da er Bildmotive aus Kupferstichen adaptierte und seine Miniaturen ein hohes Maß an 
graphischer Zeichentechnik aufweisen. Der Zeichner fokussierte die Kompositionen auf 
die wesentlichen Szenen, auf Übersichtlichkeit und Wiedererkennung bestimmter Räu¬ 
me. 4" Große Zeichenfreude zeigt sich besonders in den verschiedenen Pferdestudien, die 
proportional häufig zu klein, aber mit graphischer Raffinesse gestaltet wurden. 
Die in der Forschung noch offene Frage, wie viele Künstler an den Federzeichnungen 
~41 Vgl. hierzu die genaue Beschreibung in Kapitel 3.2., S. 46f. 
~42 Vgl. hierzu ausführlicher Kapitel 3.3., S. 48f. 
~43 Siehe Kapitel 3.3., S. 50. 
744 Art. ,Fleuronne‘, Sp. 1181 f. und Augustyn 2003, S. 19. 
45 Hierzu ausführlich Kapitel 4.7., S. 106f. 
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