Full text: Die Berliner Herpin-Handschrift in der Staatsbibliothek zu Berlin (Ms. Germ. Fol. 464)

nicht ausgegangen werden, denn der Zeichner der Herpin-Illustrationen paraphrasierte 
und variierte die Motive, ohne sie direkt zu kopieren.69' Die zahlreichen motivischen 
Überschneidungen lassen darauf schließen, dass der Herpin-Meister möglicherweise in der 
Werkstatt Wolfgang Beurers tätig war oder zumindest seine Werke kannte. 
7.5. Das künstlerische Umfeld des Herpin-Meisters 
Neben den kodikologischen Indizien zur Entstehung der Herpin-Handschrift im fränki¬ 
schen Raum690 691 sind motivische und stilistische Verbindungen zu Arbeiten fränkischer Ma¬ 
lerei, insbesondere aus der Werkstatt Pleydenwurffs (um 1420—1472) und seines Nachfol¬ 
gers Michael Wolgemut (1534/37—1519), zu erkennen. Dieser führte ab 1473 nach seiner 
Heirat mit der Witwe Barbara die Werkstatt Pleydenwurffs in Nürnberg weiter.692 Wolge¬ 
mut leitete einen erfolgreichen Werkstattbetrieb mit vielen Mitarbeitern, die die unter¬ 
schiedlichsten Gattungen ausführen konnten.693 695 Ab 1484 nahm der Drucker Anton Ko- 
berger Michael Wolgemut und dessen Stiefsohn Wilhelm Pleydenwurff für die Holz¬ 
schnitte zur Weltchronik [Uber Chronicarum cum figuris et ymaginibus ab inicio mundi)'4 des 
Hartmann Schedel und 1491 zum Erbauungsbuch Schat^behalter oder schrein der waren reich- 
tuemer des hayls vnnd der ewigen Seligkeit95 des Franziskaners Stephan Fridolin unter Vertrag.696 
Die Holzschnitte für die Predigtsammlung Fridolins bedurften, entgegen der Weltchro¬ 
nik-Holzschnitte, keiner Kolorierung, da die Kompositionen so angelegt waren, dass die 
Modulation und Stofflichkeit ausschließlich über die Schraffur erfolgte.69 In beiden mit 
Holzschnitten illustrierten Büchern sind wiederkehrend Figurentypen und identische Po¬ 
sen vorhanden, die mit den Berliner Handschriftenzeichnungen vergleichbar sind: Die 
Körperhaltung des mit einem Schwert ausholenden Lewe (Abb. 79) ist den Henkern aus 
den zahlreichen Enthauptungsszenen entliehen.698 Typengleich sind die jungen Männer 
aus der Schedel’schen Weltchronik699 und des ,Schatzbehalter‘ angesichts ihrre Haartracht, 
Kleidung und Physiognomie mit der jugendlichen Figur Lewes. Dabei sind die für das 
Ende des 15. Jahrhunderts charakteristische Kleidung und die Haartracht ein nicht zu 
übersehendes Zeitphänomen. Auf den seitengroßen Holzschnitten des ,Schatzbehalter‘ 
von Stephan Fridolin sind zahlreiche Vergleichsmomente markant: Bei der Ausbildung 
690 Vgl. Suckale 2009, S. 81. 
691 Siehe dafür auch die kodikologische Beschreibung im Kapitel 3.3., S. 47-51. 
692 Himmel 2000, S. 4; Dülberg 2008, S. 26; Roller 2008, S. 78; von Pfeil 1995, S. 18, 25 und 83. 
693 Roller 2008, S. 78. 
694 Die Chronik besteht aus 326 Blätter im Maß 324 x 226 mm und ist mit mehr als 1800 Holzschnitten il¬ 
lustriert (Hernand/WorSTBROCK 21992, Sp. 609-621, hier Sp. 616). 
695 Insgesamt 352 Blätter mit 96 ganzseitigen Holzschnitten (SCHMITDKE 21980, Sp. 918—922, hier bes. 
Sp. 920f.). 
696 Dülberg 2008, S. 27; von Pfeil 1995, S. 27 und 93. 
697 von Pfeil 1995, S. 27. 
698 Yg] hierzu die folgende Aufzählung, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt: Nürnberg, St. Lo¬ 
renz, Katharinenaltar, um 1490, Michael Wolgemut, Enthauptung der Hl. Katharina, linker Außenflügel; 
,Schatzbehalter‘ Figur 22 und Weltchronik Bl. ClVr; Erlangen, Universitätsbibliothek, Skizzenblatt aus 
der Wolgemut-Werkstatt mit einer Enthauptungsszene. Siehe ebenso ROLLER 2001, S. lf. 
699 Der Holzschnitt ,Der Kaiser und die Stände des Reiches4, Bl. CLXXXIII'— CLXXXIVr 
151
	        
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