den die hi. Ursula mit offenem Haar, auf dem sie als britische Königstochter eine Krone
trägt.588 590 Neben ihr steht Papst Cyriacus, dahinter sind die sie begleitenden elftausend Jung¬
frauen angedeutet. Über ihnen weht eine Kreuzfahne — die ,Legenda Aurea' vergleicht
Jungfrauenschar mit einer Heerschar unter Ursula als Anführerin. ^ Vor dem Schiffsbug
steht ein Mann mit erhobenen, ausgestreckten Armen, der einen Hut mit breit aufgeschla¬
gener Krempe und zwei schmalen Federn trägt. Seine Rolle bleibt in der Bilderzählung
undeutlich, doch ist dies auch charakteristisch für das detaillierte, anekdotische Erzähl¬
temperament des Zeichners: Entweder gehört die Figur zur Schiffsbesatzung und ver¬
sucht friedliche Absichten zu signalisieren, oder er ist ein feindlicher Hunne, der auf das
Schiff gesprungen ist und zum Massaker auffordert. Im Bildvordergrund richtet ein
Schütze in Rückenansicht seine Armbrust auf die Heilige. Die Figurentypen und Motive
sind den Illustrationen in der Haerpin-Handschrift engstens verwandt: Der rechts stehen¬
de Schächer auf der Skizze für die Erlanger Mitteltafel ist mit seiner charakteristischen
Physiognomie in den Zeichnungen als Hofnarr neben dem kaiserlichen Thron wiederzu¬
finden (Abb. 1)791 592 Der rechts neben dem Kreuz Christi stehende Mann mit Kapuzenman¬
tel ist in Analogie zu dem päpstlichen Gesandten (Abb. 73) gestaltet und die abstrahierten
Bäume und besonders die kreisrunden Büsche finden sich häufig in der Herpin-
Handschrift. Die Körperhaltung sowie das Kostüm des Armbrustschützen auf dem Sei¬
tenflügel der Erlanger Skizze, der in Rückenansicht wiedergegeben ist, zeigen enge Ver¬
wandtschaft mit dem spiegelverkehrt dargestellten Lewe (Abb. 77). Der Zeichner gab das
Schwert auf derselben Körperseite und die Kopfbedeckung, abgesehen vom Feder¬
schmuck, identisch wieder. “ Die Darstellung frontaler Gesichter konzipierte der Illustra¬
tor auf beiden Werken ähnlich. Die Nase ist mit einem geraden Rücken, der rechtwinklig
auf die Nasenunterkante trifft, gestaltet und der Mund ist mit einem geschwungenen Fe¬
derstrich wiedergegeben (Abb. 13 und 57). Zeichnerische Gemeinsamkeiten sind auch der
unregelmäßig benutzte Schlagschatten sowie die dickeren Konturen an den Schattenpar¬
tien der Körper.593
Die Altarentwürfe sind nicht so experimentierfreudig wie die Illustrationen in der
Handschrift, für die es keinerlei Bildtradition im deutschen Sprachraum gab. Auf der
Skizze für die Mitteltafel fehlt die Gruppe um die trauernde Maria. Durch die verwandte
Zeichentechnik und die Motivik können die beiden Entwurfszeichnungen dem Herpin-
Meister eindeutig zugeschrieben werden.
588 Besonders in Deutschland und Italien als junge Königstochter dargestellt, vgl. NlTZ 1990, Sp. 522.
589 NITZ 1990, Sp. 523.
590 Der Federschmuck des reitenden Jägers auf der Januardarstellung der in London befindlichen Hand¬
schrift (London, British Library, Ms. Egerton 1146, fol. 2V) ist dem auf dem Ursula-Flügel beinahe iden¬
tisch. Lediglich die Überschneidungspunkte der beiden dünnen Federn, die auf den Zeichnungen jeweils
an der vorderen Krempe angesteckt sind, liegen an unterschiedlichen Positionen: Der Überschneidungs¬
punkt des Londoner Federschmucks sitzt höher — auf der Erlanger Zeichnung wesentlich tiefer — so,
dass die aus den überschnittenen Federn gebildeten Ösen unterschiedlich groß sind.
591 Büchner 1927, S. 271.
592 Mus.Kat. Zeichnen vor Dürer, Kat.Nr. 59/60, S. 171.
593 Hierzu auch MUS.KAT. ZEICHNEN VOR DÜRER, Kat.Nr. 59/60, S. 170.
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