an beiden Orten hingewiesen werden.8"1 Sie stellten hier wie da das Gros der Arbeiter¬
population, damit der,natürlichen Klientel der Arbeiterorganisationen. Zweitens wurde
für Düdelingen gezeigt, dass das ARBED-Werk Brennpunkt und zentraler Schauplatz
des Märzstreiks 1921 war. Die Arbeiteraktivisten konzentrierten hier, wo sie die Mehr¬
zahl ihrer Anhängerschaft wussten, ihre Tätigkeit. Drittens wurde für beide Orte nach¬
gewiesen, dass es in der letzten Kriegsphase und während der Novemberrevolution auf
den Werken gärte, dass beiderorts die politische ,Friedhofsruhe1 ein jähes Ende fand. Die
Belegschaften pochten auf die Überwindung der überkommenen restriktiven Strukturen
und forderten mehr Partizipation ein, was auf ihre politisch aktive Rolle in den beiden
Folgejahrzehnten vorausdeutet. Viertens schließlich wurde gezeigt, wie die Freien Ge¬
werkschaften in den Werken selbst gegenüber den anderen Richtungsgewerkschaften die
Oberhand gewannen. In den späteren Jahren stellte in Neunkirchen sogar die kommu¬
nistische RGO die stärkste Kraft in den Arbeiterausschüssen, ein klares Indiz für die Po¬
litisierung der Neunkircher Hüttenarbeiterschaft. Auch in Düdelingen hatten die freien
Organisationen in den Arbeiterdelegationen eine klare Vorrangstellung gegenüber der
christlichen Gewerkschaft. Diese Punkte sollten als Belege für die gewachsene politische
Partizipation der Eisen- und Stahlarbeiterschaft im Rahmen der politischen und gewerk¬
schaftlichen Arbeiterbewegung an beiden Untersuchungsorten genügen.
Die Entwicklungen in Neunkirchen und Düdelingen differierten allerdings auch
erheblich. Auf dem gewerkschaftlichen Feld ist festzustellen, dass die luxemburgische
Industriegewerkschaft in Düdelingen trotz des Rückschlages der Streikniederlage
1921 ihre Stellung weitgehend wahrte. Auch in Neunkirchen blieben die Freien Ge¬
werkschaften präsent, aber der DMV musste zu Gunsten der kommunistischen RGO
Verluste hinnehmen. Dies war eine unmittelbare Folge eines weiteren divergierenden
Trends: In Neunkirchen kam die Spaltung der Arbeiterbewegung, wie sie sich während
des Krieges deutschland- und europaweit vollzog, voll zur Geltung. Die RGO wuchs
im Windschatten der in Neunkirchen immer stärker werdenden KPD, In Düdelingen
hingegen spielten die Kommunisten keine nennenswerte Rolle, überhaupt zeichnete
sich die Diidelinger Arbeiterbewegung durch eine im Vergleich auch zu anderen Orten
des luxemburgischen Minettebassins auffällige Mäßigung aus. Damit korrespondiert
der Umstand, dass die sozialistischen Parteien hier in ihrer Bedeutung hinter den Ge¬
werkschaften zurückblieben: Es ging dem Gros der Arbeiterschaft um soziale, nicht um
politische Ziele. Die moderate Haltung der Diidelinger Hüttenarbeiterschaft scheint
nicht zuletzt ein Resultat der weiterhin funktionstüchtigen betrieblichen Sozialpolitik
zu sein. So machten die Arbeiterfunktionäre diese für das schnelle Scheitern der März-
bewegung verantwortlich.801 802 Auch in Neunkirchen wurde die betriebliche Sozialpolitik
801 Siehe dazu noch einmal die diesbezüglichen Überlegungen in Kapitel I.
802 Vgl. dazu noch einmal Biever 192s, S. 9. Ähnlich bewertet Denis Scuto, der bei seiner Untersu¬
chung des Märzstreiks sämtliche relevanten Industriestandorte des Minettebassins im Blick hat, die
spezielle Situation in Düdelingen: „Les événements à ARB ED Dudelange confirment la réputation
de haut-lieu du paternalisme social, détenue par lüsine!* Siehe Scuto 1990, S. 241. Problematischer
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