2 Neunkirchen und Düdelingen während
des Ersten Weltkriegs und in der krisenhaften Nachkriegszeit
2.1 Die Stadt Neunkirchen und das Neunkircher
Eisenwerk in Krieg und Nachkriegszeit
Durch seine geographische Lage und wirtschaftliche Bedeutung war das Saarrevier
in besonderer Weise in den Ersten Weltkrieg involviert: Zum einen diente es als Auf¬
marschgebiet und Nachschubbasis für den Westfeldzug, zum anderen war es als Gro߬
standort der Montanindustrie in die deutsche Kriegsproduktion eingespannt. Der Krieg
machte sich dann auch in den Industriezentren besonders bemerkbar, flogen doch die
Streitkräfte der Entente in der zweiten Kriegshälfte immer wieder Luftangriffe gegen
die Produktionsstandorte.281 Zwar waren diese punktuellen Vorstöße keinesfalls mit
den Flächenbombardements des Zweiten Weltkriegs zu vergleichen, aber immerhin
wurden die Rüstungsbetriebe hier und da empfindlich getroffen. So musste das Dillin-
ger Hüttenwerk nach einem Luftangriff seine Produktion vorübergehend beträchtlich
einschränkend8-1 Die Angriffe scheinen sich jedoch in psychologischer Hinsicht we¬
sentlich stärker ausgewirkt zu haben, herrschte doch in den Industriestädten mitunter
akute Alarmbereitschaft. Die Fliegerangriffe hinterließen sicherlich den Eindruck, vom
Kriegsgeschehen unmittelbar betroffen zu sein. Einschneidender als die Kriegshandlun¬
gen an sich waren allerdings die sozialen Probleme, die der Krieg mit sich brachte: Die
kriegsbedingte Teuerung, die Verknappung der Lebensmittel und die periodisch wie¬
derkehrenden Hungerkrisen wirkten sich in den Industriestädten noch stärker aus als in
den ländlichen Randgebieten des Montangürtels.
Die kriegsbedingten Problemlagen tangierten den Industriestandort Neunkirchen
von 1914 an. Zudem dürfte gerade den älteren Stadtbewohnern noch der Deutsch-Fran¬
zösische Krieg in Erinnerung gewesen sein, als Neunkirchen ebenfalls als Aufmarschge¬
biet und Lazarettstadt gedient hatte.284 286 Dies alles scheint den Erwartungshorizont der
Bevölkerung geprägt zu haben. Der Stadthistoriker Bernhard Krajewski referiert die
Tagebucheintragungen eines namentlich nicht genannten Neunkircher Bürgers. Dieser
zeichnete in den ersten Kriegstagen ein durchaus ambivalentes Bild von der Stimmungs¬
lage in der Hüttenstadt. Zwar habe am 1. August die „Stimmung ihren Höhepunkt er¬
reicht“: „In der Bahnhofstraße sammelten sich die Menschen wie am Jahrmarkt!“ Auf der
anderen Seite hätte jedoch „eine gedrückte Stimmung“ geherrscht, und „manche Frauen
gingen schon mit Tränen in den Augen umher“. Bei der Verkündung der Mobilmachung
sei zwar Glockengeläut ertönt, aber es ging auch „ein Schluchzen und Wehen los“.28
284 Vgl. BURGARD 2010, S. 185 f.
285 Vgl. Behringer/Clemens 2009, S. 93.
286 Vgl. Sander 2005, S. 293 f.
2ir Vgl. Stadtverwaltung Neunkirchen (Hrsg.) 1955, S. 125 f. Alle Zitate ebd.
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