beiterbewegung bei, indem sie das gängige Verdikt der ,Reichsfeinde‘ und .vaterlandslo¬
sen Gesellen aufrecht erhielten. Für die Arbeiter selbst allerdings bedeuteten die Krie-
gervereine ein nicht zu vernachlässigendes Partizipationsangebot: „Die Sozialstruktur
der Kriegervereine ist zwar noch nicht hinreichend erforscht“, so Thomas Rohkrämer,
der eine grundlegende Studie zum deutschen Kriegervereinswesen vorgelegt hat, „doch
stimmen die Meinungen der Zeitgenossen mit den wenigen statistischen Angaben dar¬
in überein, daß vorwiegend Arbeiter, Landarbeiter und Kleinbürger in ihnen vertreten
waren“.230 In den Kriegervereinen bestätigt sich die These von Klaus Nathaus, wonach das
sozial gemischte Vereinswesen zwar ein Angebot zur gesellschaftlichen Partizipation und
Integration bereit stellte, zugleich aber politische Emanzipationsbemühungen dadurch
blockierte, dass bestehende Hierarchien reproduziert und durch Teilhabe am Verein (im¬
plizit) akzeptiert wurden. Die Projektion der sozialen Hierarchie auf die Struktur der
Kriegervereine manifestierte sich direkt im Verhältnis von Vereinsführung und Vereins¬
basis. Rohkrämer schreibt: „Die Sozialstrukturen von Vorstand und Mitgliedern unter¬
schieden sich [...] erheblich. Während das Gros der Mitglieder den .kleinen Leuten zuzu¬
rechnen ist, dominierten Bürgertum und Militär in den leitenden Vereinspositionen.“231
Die Sozialstruktur der Neunkircher Krieger- und Veteranenvereine ist nicht mehr zu¬
verlässig zu rekonstruieren, doch darf davon ausgegangen werden, dass hier die gleichen
Mechanismen griffen. Nicht weniger als 19 Krieger-, Regiments- und Veteranenvereine
waren in der Neunkircher Chronik von 1913 aufgeführt, die Hüttenstadt hatte damit
eindeutig Teil am kaiserreichsdeutschen Kriegervereinsboom.232 1873 wurde der „Neun¬
kircher Kriegerverein“ als eine der ersten Organisationen dieser Art gegründet. Durch
Abgleich einer überlieferten Jubiläumsphotographie aus dem Jahr 1883, auf der immer¬
hin ein Drittel der Namen eingetragen war, mit dem Neunkircher Adressbuch von 1888
konnte Antje Fuchs annäherungsweise herausarbeiten, dass die Hüttenarbeiter einen
„nicht unerheblichen Teil“ der Vereinsmitglieder stellten. Daraus zieht sie den plausibel
anmutenden Schluss: „Die Hüttenarbeiter waren im Kriegerverein überrepräsentiert
und zeigten in der Tat eine besondere Affinität zu diesem Typus des Militärvereins.“233
In zweierlei Hinsicht scheinen die lokalen Kriegervereine die Entwicklung der
Neunkircher Arbeiterbewegung blockiert zu haben: zum einen dadurch, dass sie gewis¬
sermaßen als Speerspitze im Kampf gegen die ,Reichsfeinde‘ fungierten, die man zum
Gegenbild der eigenen Wertvorstellungen deklarierte;23'4 zum anderen aber - das sollte
nicht vergessen werden - absorbierten die Kriegervereine wie alle anderen sozial ge¬
mischten und sonstigen Vereine Organisationspotenziale. Schon angesichts der knapp
230 Rohkrämer, Thomas: Der Militarismus der „kleinen Leute“. Die Kriegervereine im Deutschen
Kaiserreich 1871-1914 (Beiträge zur Militärgeschichte, Bd. 29), München 1990, S. 34.
231 Ebd., S. 37. Hervorhebung im Original.
2,2 Vgl. Chronik von Neunkirchen, 3. Jg. Nr. 2, 1913. S. 9-16; Chronik von Neunkirchen, 5. Jg. Nr. 3,
1913. S. 17-11.
233 Fuchs 1993, S. 108 f.
2,4 Zur antisozialdemokratischen Ausrichtung der Kriegervereine vgl. Rohkrämer 1990, S. 231-135.
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