suigeneris zu profilieren, ist die Auswertung betrieblicher Quellen und zeitgenössischer
Darstellungen des Produktionsprozesses schlicht unerlässlich.
In Kapitel IV richtet sich das Augenmerk dann auf die Lebensbedingungen in der
Industriegemeinde, wobei besonders der Einfluss der Betriebe jenseits der Werkstore
eruiert werden soll. Im Mittelpunkt dieses Kapitels steht daher die unternehmerische
Arbeiterpolitik in ihren Intentionen, Formen und Folgen. Diese zeichnete sich beson¬
ders durch das kalkulierte Zusammenspiel sozialpolitischer und repressiver Elemente
aus. Eine Analyse der Arbeiterpolitik kann etwa auf der Basis zeitgenössischer Diszi-
plinarreglements, mithilfe der Statuten der betrieblichen Krankenkassen,120 mittels be¬
trieblicher Baukonzessionen für Arbeiterwohnungen, Dossiers über die, wie es in der
unternehmensinternen Diktion hieß, „Wöhlfahrtseinrichtungen“ und anderer Doku¬
mente erfolgen. Zu fragen ist in diesem Zusammenhang auch nach der Tragweite der
betrieblichen Arbeiterpolitik beziehungsweise danach, welche Arbeitergruppen in wel¬
chem Grad tangiert waren. In Kapitel IV werden ferner Probleme und Lebensbewälti¬
gungsstrategien von Arbeitern aufgezeigt, die vom sozialpolitischen System der Hütten¬
werke partiell exkludiert waren. Uber die sozialen Probleme in beiden Hüttenstädten
informieren beispielsweise Wohnungsenqueten und Polizeiberichte.
Teil C widmet sich der Organisationsgeschichte. Von besonderem Interesse sind dabei
die sozialdemokratisch-sozialistischen Organisationsformen, also Freie Gewerkschaften,
Arbeiterparteien sozialdemokratischer, sozialistischer oder kommunistischer Ausrichtung
sowie verschiedene Vorfeldorganisationen. Die Aufmerksamkeit gilt sowohl dem insti¬
tutioneilen Werdegang als auch der programmatischen Ausrichtung. Außerdem werden
punktuelle Ereignisse wie die Maifeiern oder verschiedene Streikbewegungen in die Be¬
trachtung einbezogen. Die Organisationsgeschichte wird im Sinne des integrativen Ansat¬
zes als mittelbares Resultat der zuvor diskutierten Grundlagen der Hüttenarbeiterexistenz
interpretiert: Die Arbeits- und Lebenswelt der Hüttenarbeiter konstituierte Rahmenbe¬
dingungen, welche die Organisationsgeschichte entscheidend beeinflussten. In gesamt¬
europäischer Perspektive markierte der Erste Weltkrieg für die politische Arbeiterbewe¬
revier war institutionell dem 8. Agitationsbezirk des DMV mit Sitz in Frankfurt am Main angegliedert,
deutsche Emissäre wirkten auch im Großherzogtum.
1'* 1) Diese beiden Quellengattungen sind gerade für Neunkirchen in mehreren Jahrgängen überliefert.
Da sich die Reglements und Statuten in ihrem Inhalt und ihren Bestimmungen allerdings stark äh¬
neln, war die exemplarische Auswertung einzelner Ausgaben hinreichend. Siehe beispielsweise Statut
des Neunkircber Knappschaftsvereins von iSSs; Allgemeine Arbeitsordnungfür das NeunkircherEisenwerk
i8(/2. Beide in: StA Nk, Kleine Schriften NE, Karton i. Die Diidelinger Fabrikordnung von 1891 findet
sich in: Conrardy 1991, S. 2,05 f. Weiterhin interessant sind in diesem Zusammenhang die von Karl-
Ferdinand Stumm regelmäßig in Umlauf gebrachten Zirkulare, die ebenfalls zahlreiche Bestimmungen
das Privatleben der Arbeiter betreffend festhalten. Siehe Die Circulare des Carl Ferdinand Stumm. Do¬
kumente zur Sozialgeschichte an der Saar, zusammengestellt und eingeleitet von Heinz Gillenberg
[Maschinenschriftliches Manuskript]. In: StA Nk, Dep. Saarstahl AG.
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