„In letzter Zeit habe ich mehrfach Verurtheilun^cn von Arbeitern zu schweren Strafen erst
aus den Blättern ersehen und mir persönlich die Mühe machen müssen, die betreffenden
Leute ausfindig zu machen. Auf Grund des Art. 38 des Disciplinar-Reglements ist das Verhal¬
ten der Arbeiter außer Dienst speziell im Auge zu behalten und muß ich die Herren für die
Überwachung ihrer Untergebenen in Bezug auf Schlägereien und sonstige Excesse außerhalb
des Dienstes ebenso verantwortlich machen, wie hinsichtlich der Vergehen im Dienste, wel¬
che meistens weit unerheblicherer Natur sind. Ich verlange also von jedem Beamten welcher
Arbeiter unter sich hat unbedingt, daß er mir grobe Excesse und Pflichtwidrigkeithen, wel¬
che die ihm untergebenen Arbeiter außerhalb des Dienstes verüben insoweit er sic zu ermit-
teln vermag, meldet. 1
Die Aufsichtspflicht der Beamten, Meister und Werksaufseher wird explizit auf den
außerbetrieblichen, das heißt den Privatbereich, ausgedehnt. Stumm selbst wollte in
außerbetrieblichen Angelegenheiten als oberster Richter fungieren, denn in einem von
ihm nicht selbst verfassten Zirkular vom 13. Oktober 1898 heißt es: „Aus Veranlassung
eines vorliegenden Falles theile ich Ihnen mit, das [sic!] die Androhung der Kündigung
nur für außerhalb des Betriebs liegende Vergehen ausgesprochen werden darf und Herrn
Geheimrat Stumm alleine dieses Recht zusteht.“ 2 Dieses Zirkular zeigt, dass die Verfü¬
gungsgewalt des Arbeitgebers jenseits des Betriebs auch durch das Arbeiterschutzgesetz
von 1891, das die Kodifizierung von Fabrikordnungen im Deutschen Reich vorsah, nicht
eingeschränkt wurde. Im Gegenteil wurde es durch die schriftliche Fixierungeher noch
verbindlicher gemacht: „Der Arbeitgeber setzte weiterhin autonom Betriebsrecht in
Form der Arbeitsordnung [...].“ 3 Interessant ist, dass Vergehen außerhalb des Betrie¬
bes offensichtlich noch härter geahndet wurden als während der Arbeitszeit, da fristlose
Kündigungen, wie aus obigem Zirkular hervorgeht, nur externe Vorfälle betrafen. Dies
erklärt sich wohl durch den Umstand, dass für die außerbetriebliche Disziplinierung
schärfere Sanktionsdrohungen einfach notwendig erschienen, da die Kontrolle nicht in
dem Maße aufrecht erhalten werden konnte wie im Betrieb selbst: Der Verlust an unmit¬
telbarem Zugriff wurde kompensiert durch härtere Strafandrohungen. Es zeigt sich aber
auch hier, dass Stumms Alleinbestimmungsanspruch scheiterte: In einem nicht numme¬
rierten Rundschreiben wurde festgestellt, dass die oben bemühte Aufsichtspflicht über
das Privatleben der Beschäftigten nicht ausreichend berücksichtigt werde. 4
Auch wenn die außerbetriebliche Einflussnahme in Düdelingen nicht so weitrei¬
chend konzipiert und praktiziert wurde wie in Neunkirchen, so reihte sich die dortige
Unternehmensleitung doch in den allgemeinen Branchenkontext ein und beaufsich¬
tigte ebenfalls die private Lebensführung. Dies geht etwa aus den in den Stammlisten
1 Die Circulare des Carl Ferdinand Stumm, Nr. 43,15.8.1887, S. 37.
2 Ebd„ n. n., 13.10.1898, S. 68.
Flohr 1981, S. zi.
4 Die Circulare des Carl Ferdinand Stumm, n. n., 18.6.1894, S. 53.
381