erlauben verschiedene Quellengattungen einen profunden Einblick in die betriebliche
Arbeitswert. Aul ihrer Basis lassen sich die zentralen Aspekte der Arbeitssituation im in¬
tegrierten Eisen- und Stahlbetrieb rekonstruieren. So sind im Werksarchiv der ARBED,
das im Nationalarchiv Luxemburg (AnLux) deponiert ist, die Stammlisten der Diidelin-
ger Hütte für nahezu den gesamten Betrachtungszeitraum in recht gut erhaltener Folge
überliefert.113 Es handelt sich um sehr umlangreiche Belegschaftslisten, die Informatio¬
nen zur Person (Namen, Alter, Herkunft) und zur Arbeit im Betrieb beinhalten (Ein¬
satzort, bisweilen Tätigkeit, Eintritts- und Austrittsdatum, gegebenenlalls Entlassungs¬
grund). Die Stammrollen waren zur Beantwortung einzelner Fragestellungen, etwa nach
der Belegschaftsstruktur oder nach der Fluktuation, nicht zu ersetzen.114 Ergänzt werden
die Listen durch punktuell auftauchende, aggregierte Personalstatistiken der ARBED.
Letztere spiegeln etwa die Belegschaftsstruktur zu einem bestimmten Zeitpunkt wider.115
Aussagekräftige Informationen lieferten lerner die Protokolle der Arbeiterdelegationen
bungvgl. Emmerich, Wolfgang (Hrsg.): Proletarische Lebensläufe. Autobiographische Dokumente zur
Entstehung der zweiten Kultur in Deutschland. Bd. i: Anfänge bis 1914, Reinbek 1974, S. 14-30; außer¬
dem Zumdick 1990, S. 15 h; Brandt zooz, S. 8; Federlein, Angela: Autobiographien von Arbeitern
1890-1914 (Schriftenreihe der Studiengesellschaft für Sozialgeschichte und Arbeiterbewegung, Bd. 68),
Marburg 1987, S. 63-89. Die Autorin der letztgenannten Studie beschränkt sich ganz bewusst auf Auto¬
biographien, die von Vertretern der Arbeiterbewegung stammen. In der vorliegenden Studie konnte dank
eines Sammelbandbeitrages, der die entsprechende Originalquelle auszugsweise wiedergibt, wenigstens
das Tagebuch eines Hüttenbeamten ausgewertet werden. Dieses gewährt Einblicke in die Funktionsweise
der betrieblichen Welt, stammt aber eben nicht von einem Arbeiter. Siehe Jung, Michael: „Morgens gehe
zur Schicht!' Aus dem Tagebuch eines Hüttenangestellten, in: Dülmen, Richard van/jACOB, Joachim
(Hrsgg.): Stumm in Neunkirchen. Unternehmerherrschaft und Arbeiterleben im 19. Jahrhundert. Bilder
und Skizzen aus einer Industriegemeinde (Saarland-Bibliothek, Bd. 5), St. Ingbert 1993, S. 139-163. In Dü-
delingen konnte Benito Gallo, ein Chronist vor allem der italienischen Immigration nach Luxemburg,
Gespräche mit italienischstämmigen Hüttenarbeitern führen, die von ihrer Arbeit auf der Hütte und ih¬
rem Leben in der Industriegemeinde berichteten. Diese kurzen Gesprächsskizzen fließen immer wieder
in seine Monographien ein und waren als Quellen durchaus von Nutzen. Allerdings müssen sie, wie alle
Zeugnisse der oralbistory, mit der notwendigen Vorsicht betrachtet werden. Siehe dazu Gallo 1987.
113 Die Stammlisten oder Stammrollen sind wie die anderen bearbeiteten Dokumente aus dem ARBED-
Bestand in älteren Findbüchern verzeichnet und waren zum Zeitpunkt der Fertigstellung dieser Arbeit
noch nicht in die erneuerten Findmittel auf digitaler Basis eingearbeitet. Die Signatur beginnt jeweils
mit der Zahlen- und Buchstabenkombination ADU-Ui, es folgt noch eine dreistellige Nummer, die
stets mit 1 beginnt. Eine Liste aus dem Jahr 1891 beispielsweise, zugleich die älteste hier berücksichtigte
Stammhste, trägt die Signatur AnLux, ADU-U1-110.
1,1 Zum Aufbau und Wert dieser Quellengattung, aber auch zu den sich offenbarenden Problemen in
der Bearbeitung vgl. Zumdick 1990, S. 495-498. Zumdick arbeitete mit den Stammlisten der Phoenix-
Hütte in Duisburg-Laar, die bei weitem nicht so gut überliefert sind wie die Düdelinger Listen.
111 So eine äußerst umfangreiche Statistik aus dem Jahr 1913, die zugleich Rückblicke auf die Jahre 1909
und 1907 gibt: AnLux, ADU-U1-93. Diese Quelle informiert über die Belegschaftsstärke insgesamt
sowie diejenige der Teilbetriebe, über die nationale Zusammensetzung der Belegschaft, die Wohnorte
der Arbeiter, die vorhandenen Wohnformen und einige weitere Parameter.
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