Um die Vergleichssituation modellieren zu können, muss ein operaüonalisierbarer
Analyserahmen mit entsprechenden, auf beide Analyseobjekte applizierbaren Fragestel¬
lungen geschaffen werden.101 Dazu bedarf es eines hinreichenden Sets an Gemeinsam¬
keiten zwischen den Untersuchungsgegenständen.102 Die beiden ausgewählten Untersu¬
chungsorte verfügen über ein adäquates Maß gemeinsamer Merkmale und sind somit im
eigentlichen Sinne .vergleichbar“: Sie teilten eine gewisse Pionierstellung in ihren jewei¬
ligen Revieren,103 sie bildeten recht früh, jedenfalls früher als etliche benachbarte Werke,
den Typus des gemischten oder integrierten Hüttenbetriebes aus und ihr Werdegang im
Industrialisierungszeitalter war gekennzeichnet durch charismatische Unternehmerper¬
sönlichkeiten, die eine ambitionierte, doppelpolig strukturierte Arbeiterpolitik betrie¬
ben. Überdies nahm die Hüttenarbeiterschaft beiderorts ein dominierendes demogra¬
phisches Gewicht ein. Demgegenüber weisen beide Orte und Arbeiterbevölkerungen
unterschiedliche Strukturmerkmale auf, die einen Vergleich überhaupt erst lohnenswert
erscheinen lassen: Zu nennen sind, abgesehen von den unterschiedlichen Größenord¬
nungen der Städte und Werke,104 in erster Linie die divergierenden Werkshistorien. Die
Frage lautet, inwieweit sich die längere Neunkircher Werksgeschichte auf die Struktur
Fallstricke einer länderübergreifenden vergleichenden Geschichte der Arbeiterbewegung, in: Jahrbuch
für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung 9 (2010), S. 58-71.
101 Zur Auswahl einer für den vergleichenden Ansatz geeigneten Fragestellung vgl. Kaelble 1999,
S. 119-135.
102 Gelegentlich ist in diesem Zusammenhang auch vom „tertium comparationis“ die Rede. Dieses bil¬
det sozusagen die (idealtypische) Folie, auf die beide Untersuchungsobjekte projiziert werden, um sie
in einen Vergleichskontext zu setzen. Vgl. dazu Welskopp, Thomas: Stolpersteine auf dem Königsweg.
Methodenkritische Anmerkungen zum internationalen Vergleich in der Gesellschaftsgeschichte, in:
Archiv für Sozialgeschichte 35 (1995), S. 339-367, hier S. 345; außerdem Schieder “1968, S. 2,10.
103 Dies lässt sich besonders an der technologischen Entwicklung nachvollziehen. Das Diidelinger
Werk war der erste integrierte Hüttenbetrieb mit einem Hochofen-, einem Konverterstahl- und einem
Walzwerk überhaupt im luxemburgischen Minettebassin. Vgl. Kerkhof, Stefanie van de: Die Indus¬
trialisierung der lothringisch-luxemburgischen Minette-Region, in: PiERENKEMPER, Toni (Hrsg.):
Die Industrialisierung europäischer Montanregionen im 19. Jahrhundert (Regionale Industrialisierung,
Bd. 3), Stuttgart 2002, S. 225-275, hier S. 255; Maas,Jacques: Zwischen Kooperation und Konfrontati¬
on: Deutsche und luxemburgische Hüttenunternehmen und die Einführung des Thomas-Verfahrens in
der luxemburgischen Eisenindustrie, in: Rasch, Manfred/MAAS, Jacques: Das Thomas-Verfahren in
Europa. Entstehung - Entwicklung - Ende, Essen 2009, S. 133—169, bes. S. 141 und 156 f. Neunkirchen
ging im Bereich technologischer Innovationen, etwa in der Einführung des Puddel- oder später des
Thomasverfahrens, den anderen Saarhütten zumeist voran. Vgl. Gillenberg 2005; außerdem Ban¬
ken, Ralf: Der Spätstart eines optimalen Verfahrens. Die Einführung des Thomas-Verfahrens in der
Saarregion und seine weitere Entwicklung 1879-1914, in: Rasch, Manfred/MAAS, Jacques: Das Tho¬
mas-Verfahren in Europa. Entstehung - Entwicklung - Ende, Fassen 2009, S. 113-132, bes. S. 118-121.
104 Neunkirchen hatte 1910 gut dreimal so viele Einwohner, nämlich 36.402. In Düddingen waren es
zum gleichen Zeitpunkt 10.803. Für Neunkirchen siehe FrÜhauf, Helmut: Neunkirchens Siedlungs¬
entwicklung in der Industrialisierung, in: KNAUF, Rainer/TREPESCH, Christof (Hrsgg.): Neunkircher
Stadtbuch, Neunkirchen 2005, S. 95-118, hier S. 98; für Düddingen siehe Conrardy/Krantz 1991,
S. 28. Auf der Neunkircher Hütte arbeiteten im selben Jahr 5.387 Personen, im Düdelinger Werk drei
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