Unfälle [...] häuten sich in so erschreckender Weise, daß das hiesige Werk heute an der
Spitze der gefährlichen Betriebe in der südwestdeutschen Berufsgenossenschaft steht!‘
Noch einmal werden die Meister unter Strafandrohung an ihre Aufsichtspflicht erin¬
nert, während andererseits den Meistern mit niedrigen Unfallraten eine Unfallverhü¬
tungsprämie in Aussicht gestellt wird.116 118 Ein knappes Jahr später scheint sich die Situa¬
tion im Puddel-, Walz- und Stahlwerk verschlimmert zu haben, denn Stumm verlangte
angesichts der dort gestiegenen Unfallraten einerseits einen detaillierten Unfallbericht
jeweils zu Monatsende, andererseits aber sollten den Arbeitern ab sofort alle vier Wo¬
chen die Unfallverhütungsvorschriften vorgelesen werden.11 All dies schien auf die
Dauer nichts zu fruchten, denn rund zehn Jahre darauf war in einem Zirkular zu lesen:
„ln letzter Zeit häufen sich die Unfälle in ganz auffallender Weise. Viele derselben könnten
ohne Zweifel vermieden werden, wenn die betreffenden Unfallverhütungsvorschriften streng
gehandhabt worden wären. Ich ersuche die Herren Betriebsbeamten dringend auf letztere
- speziell durch die Meister - die Arbeiter immer wieder hinzuweisen und gegebenenfalls
unnachsichtlich mit Bestrafungen vorzugehen. 11 s
Erneut offenbart sich die Werkshierarchie in der Abfolge der Befehlskette von den
Betriebsbeamten über die Meister bis hin zu den einfachen Arbeitern.
Die Sorgen ob der hohen Unfallzahlen waren wohl in erster Linie betriebswirtschaft¬
licher Natur, bedeuteten Unfälle doch zugleich Störungen des Betriebsablaufs und da¬
mit Produktionsstockungen. Außerdem leistete die Firma im Falle von schwereren Un¬
fällen mit Invaliditäts- oder gar Todesfolge Entschädigungsleistungen an die Opfer oder
deren Hinterbliebene, jeder schwerere Unfall bedeutete für das Werk folglich eine dop¬
pelte finanzielle Belastung. In den Werksarchiven sind einige Schreiben überliefert, die
eine solche Entschädigungsleistung dokumentieren. Am z6. Mai 1874 beispielsweise si¬
cherte das Neunkircher Eisenwerk dem verunglückten Arbeiter Friedrich Rummel eine
Entschädigungsleistung von zoo Thalern zu, man ließ sich aber zugleich zusichern, dass
der Geschädigte „die Herrn Gebrüder Stumm hierdurch von jeder weiteren Verpflich¬
tung für alle Zukunft entbinde“.119 120 Die Witwe Margaretha Scherer wurde am 6. März
1875 aufgrund des Unfalls ihres Mannes, des Hüttenarbeiters Heinrich Pirung, mit einer
lebenslangen Pension von zehn Thalern pro Monat entschädigt. Auch sie musste „auf
jeden weiteren Anspruch gegen die Firma Gebrüder Stumm aus Anlass der Verunglü¬
ckung ihres Mannes sowohl im eigenen Namen wie als Vormünderin ihrer minderjähri¬
gen Kinder“ verzichten.p" Die hohe Dichte an Verunglückungen lässt darauf schließen,
dass solche Entschädigungsleistungen keine Einzelfälle waren. Uber Unfallzahlen er¬
116 Ebd., n. n., 20.2.1888, S. 41.
11 Ebd., Nr. 53,14.1.1889, S. 44f.
118 Ebd., n. n., 19.4.1899, S. 7z.
119 StA Nk, Dep. Saarstahi AG, J86-1-4-1874-40, S. 8.
120 Ebd., S. 9.
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