Full text: Arbeiterexistenzen und Arbeiterbewegung in den Hüttenstädten Neunkirchen, Saar und Düdelingen, Luxemburg (46)

düng die Konzentration und Aufmerksamkeit nach. Gerade bei monotonen Verrich¬ 
tungen dürfte dies besonders problematisch gewesen sein.102 
Unfälle waren ein geradezu konstitutiver Bestandteil des Innenlebens von Fabriken 
im Zeitalter der Industrialisierung. Sehr zahlreich zeugen Eintragungen wie „blesse“ 
oder „invalide“ in den Düdelinger Stammrollen von der Problematik.103 104 In der Stamm¬ 
liste des Jahres 19x4 wurde immer wieder in roter Farbe handschriftlich der Eintrag „Un¬ 
fall“ ergänzt. Dies war in der Liste des Hochofenwerks immerhin bei 84 von 545 Ar¬ 
beitern (15,4%) der Fall.101 Die Zahl scheint sehr hoch zu sein, und zwar aus mehreren 
Gründen. Zwar geht aus den einfachen Eintragungen nicht hervor, um weiche Art von 
Unfällen es sich handelte, aber es ist davon auszugehen, dass nur diejenigen Vorfälle 
Berücksichtigung fanden, die angesichts ihrer Schwere als erwähnenswert erachtet wur¬ 
den. In den Stummschen Zirkularen, wo die Unfallgefahr ebenfalls sehr oft thematisiert 
wird, heißt es an einer Stelle, es sollten alle Unfälle protokolliert werden, „welche eine 
Arbeitsunfähigkeit von mehr als drei Tagen nach sich ziehen“.105 Eine ähnliche Vorge¬ 
hensweise kam wahrscheinlich auch in Düddingen zur Anwendung. Zudem handelt 
es sich hier um eine Stammliste, die nur ein Jahr, also einen sehr begrenzten Zeitraum, 
abdeckt. Die Frequenz der Unfälle scheint so gesehen bemerkenswert zu sein. Die 
Mehrzahl der Betroffenen waren ungelernte manoeuvres, was aber nicht zu der Annah¬ 
me verleiten sollte, dass nur die ungelernten Kräfte von Unfällen bedroht waren. Die 
ungelernten Arbeiter überwogen generell im Hochofenbetrieb, somit trugen sie auch 
die Hauptlast der Unfälle. 
Freilich darf das Beispiel aus dem Hochofenbereich nicht vorschnell generali¬ 
siert werden, es ist eben nur ein punktueller Befund. Leider liegen nur wenige aggre¬ 
gierte Daten zur Unfallhäufigkeit in den beiden Werken vor, allerdings äußerten sich 
die Werksleitungen zu (vermeintlichen) Unfallursachen. Es ist auffällig, dass man die 
Schuld an Unfällen in erster Linie einseitig bei den Arbeitern suchte.106 Für das erste 
Trimester 1927 ist eine Stellungnahme der Düdelinger Unternehmensführung zu Un¬ 
fallursachen überliefert. Demnach waren nicht weniger als 54 Prozent der Vorfälle auf 
„Inattention, maladresse“ zurück zu führen, sechs Prozent wurden folgendermaßen be¬ 
102 Vgl. dazu allgemein Baryli, Andreas: Arbeitsprozeß und Arbeitergesundheit. Unfälle und Be¬ 
rufskrankheiten im Verlauf der Industrialisierung, in: Sauer, Walter (Hrsg.): Der dressierte Arbeiter. 
Geschichte und Gegenwart der industriellen Arbeitswelt, München 1984, S. 126-146; Henning 1978, 
S. 85 ff. 
10J So etwa in den Stammrollen von 1901 und 1915. AnLux, ADU-U1-113; AnLux, ADU-U1-117. Die 
Einträge finden sich jeweils in der Spalte „motifs du depart“. 
104 AnLux, ADU-U1-130/2. 
1,15 Die Circulare des Carl Ferdinand Stumm, Nr. 31, 10.10.1885, S. 27. 
106 Zum Unfall- und Arbeitsschutzdiskurs während der Industrialisierung vgl. Uhl, Karsten: „Schafft 
Lebensraum in der Fabrik!“. Betriebliche Kantinen und Speiseräume im deutschen Rationalisierungs¬ 
diskurs 1880-1945, in: Bluma, Lars/UHL, Karsten (Hrsgg.): Kontrollierte Arbeit - disziplinierte Kör¬ 
per? Zur Sozial- und Kulturgeschichte der Industriearbeit im 19. und 20. Jahrhundert, Bielefeld 2012, 
S. 361-393, hier S. 384. 
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