Belastungen, die die industrielle Fabrikarbeit mit sich brachte. Insofern ist Friedrich^
Wilhelm Henning beizupflichten, wenn er die oftmals propagierte Vorstellung einer
„Humanisierung der Arbeitsweit“ im Zuge der Industrialisierung und der mit ihr ein-
hergehenden Mechanisierungstendenzen kritisch bewertet.56 Arbeit im Industriebe¬
trieb war bis weit ins 2.0. Jahrhundert hinein körperliche Schwerstarbeit. So verwundert
es kaum, dass nicht wenige Arbeiter von den Werksleitungen für körperlich untauglich
befunden wurden. In den Stammrollen des Düdelinger Hüttenwerks finden sich in der
Rubrik für Entlassungsgründe („motifs du départ“) Eintragungen wie „épileptique“, „es¬
tropié“ oder einfach „trop faible“.5 Sie deuten auf die mangelnde körperliche Eignung
der entlassenen Personen hin, wobei es sich konkret wohl nicht tatsächlich um Epilepsie
handelte, sondern um allgemeine körperliche Erschöpfungszustände angesichts der har¬
ten Arbeit. Die Zustandsbeschreibung „estropié“ kann sich auf Verkrüppelungen infol¬
ge von Arbeitsunfällen beziehen, möglich ist aber ebenso, dass es sich um angeborene
körperliche Mängel handelte, denn bei Unfällen wurden in der Regel eher Bemerkun¬
gen wie „invalide“, „blessé“ oder „accident“ festgehalten.58 Die zunehmende Maschini¬
sierung und Mechanisierung der Produktion brachte in einigen Fällen wohl Entlastung,
etwa wo es sich um Transport- und Hebearbeiten handelte. Die Maschine stellte aber
zugleich neue Anforderungen, sorgte für neue Belastungen und Gefährdungen und er¬
höhte zudem nicht selten die Arbeitsintensität.'’9
Im Eisen- und Stahlbetrieb mussten unter anderem schwere Gewichte gehoben, getra¬
gen und bewegt werden. Bereits angesprochen wurde die roulage im Düdelinger Hoch¬
ofenwerk, wo sehr viele ausländische Arbeitskräfte eingesetzt wurden. Hier mussten die
Rohmaterialien, die per Eisenbahn angeliefert wurden, zunächst von Hand aus den Wa¬
gons entladen werden. Sodann mussten die grobschlächtigen Erz- und Koksbrocken in
der Möllerei mit Hämmern und ähnlichem Gerät zerkleinert werden, damit sie im Hoch¬
ofen verarbeitet werden konnten. Dies verlangte ebenfalls größte Kraftanstrengung. Die
zerkleinerten Brocken mussten dann erneut in Schubkarren und kleine Wagons verladen
werden, um sie anschließend zum Ofen zu transportieren.60 * Zwar wurde die Logistik in¬
tegrierter Eisen- und Stahlbetriebe etwa durch die Ausstattung mit Gleisen, Lokomo¬
tiven oder Kränen sukzessive verbessert; aber solche schweren manuellen Verrichtun¬
56 Vgl. Henning, Friedrich-Wilhelm: Humanisierung und Technisierung der Arbeitswelt. Über den
Einfluß der Industrialisierung auf die Arbeitsbedingungen im 19. Jahrhundert, in: Reulecke, Jürgen/
Weber, Wolfhard (Hrsgg.): Fabrik, Familie, Feierabend. Beiträge zur Sozialgeschichte des Alltags im
Industriezeitalter, Wuppertal 1978, S. 57-88, passim.
57 So in der Stammrolle von 1901: AnLux, ADU-U1-113.
Vgl. ebd.
59 Vgl. Henning 1978, S. 57 f.
60 Vgl. Conrardy 1991, S. 85 f. Für Neunkirchen vgl. Gillenberg 199z, S. 41. Gillenberg zufolge sei¬
en die im Erztransport beschäftigten Arbeiter im saarländischen Idiom als ,Schepper und Schlepper'
tituliert worden, Bezug nehmend auf ihre beiden Haupttätigkeiten, das Schaufeln und Schleppen. Vgl.
ebd.
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