werden.22 Charakteristisch für die Entlohnung im Industrialisierungszeitalter war
weiterhin der Umstand, dass Arbeitsanfälle in aller Regel empfindliche Lohnausfälle
bedeuteten, das heißt, dass Fehltage nicht oder nur in sehr geringem Umfang bezahlt
wurden. Dies zeigt sich sehr deutlich in den Düdelinger Stammrollen der Zwischen-
kriegszeit. Die hier zu Tage tretenden beachtlichen Lohndifferenzen waren nur zum
Teil auf die verschiedenen Tätigkeiten und Qualifikationen zurück zu führen, denn Ar¬
beiter der gleichen Kategorie kamen zu sehr unterschiedlichen Löhnen. In der Stamm¬
rolle des Stahlwerks aus dem Jahr 1914 sind sowohl Löhne als auch geleistete Arbeits¬
tage aufgeführt. Bei den eingetragenen Maschinisten war ein Lohngefälle zwischen
9.755,28 Francs und 3.575,39 Francs pro Jahr festzustellen, das nicht oder nicht nur auf
unterschiedliche Positionen in der Hierarchie oder unterschiedliche Qualifikationen
zurückgeführt werden kann, sondern insbesondere mit der divergierenden Zahl an ge¬
leisteten Arbeitsstunden zusammen hängt.* 53 54 Hier offenbaren sich auch die Risiken der
Lohnarbeiterexistenz in einer Zeit, in der staatliche Vorsorge allenfalls subsidiären Cha¬
rakter hatte: Unfälle, Krankheit, Invalidität, Alter, mithin Arbeitsunfähigkeit stellten
veritable Existenzgefährdungen dar.24
22 Zur Leistungsentlohnung im industriellen Produktionssystem, ihren Funktionen und Ausprägungs¬
formen vgl. Schmiede, Rudi/ScHUDUCH, Edwin: Die Entwicklung der Leistungsentlohnung in
Deutschland. Eine historisch-theoretische Untersuchung zum Verhältnis von Lohn und Leistung un¬
ter kapitalistischen Produktionsbedingungen, Frankfurt a. M. 2i977, bes. S. 38-51; Meissl, Gerhard:
Arbeitslohn und Arbeitsleistung, in: Sauer, Walter (Flrsg.): Der dressierte Arbeiter. Geschichte und
Gegenwart der industriellen Arbeitswelt, München 1984, S. 111-125, passim. Die Lohnfrage war ein
zentrales Betätigungsfeld vor allem der gewerkschaftlichen Arbeiterbewegung. Trotz der häufig zitier¬
ten Formel .Akkord ist Mord1 entwickelte sie ein ambivalentes Verhältnis zur Leistungsentlohnung,
musste man doch Rücksicht nehmen auf die jungen, leistungsfähigen Arbeiter, die durchaus die Chan¬
cen des Akkordsystems sahen. Dank ihres hohen Arbeitsvermögens konnten sie bessere Löhne als im
System der Zeitentlohnung erzielen. Vielmehr ging es den Gewerkschaften darum, die Akkordsätze
transparent und verbindlich zu gestalten, die oftmals empfundene Willkür bei der Akkordfestlegung zu
minimieren. Zu dieser Problematik vgl. Schröder 1978, S. 207 f.
53 AnLux, ADU-U1-130/3.
54 Besonders ältere Arbeiter sahen sich zahlreichen Gefährdungen ausgesetzt, waren sie doch den
Leistungsanforderungen der industriellen Produktion physisch nicht mehr gewachsen. Einige ältere
Arbeiter avancierten zu Aufsehern, Meistern oder Privatbeamten, die meisten jedoch mussten sich mit
einer schlechter bezahlten Tätigkeiten zufrieden geben. So entstanden regelrechte Lebenszyklen in der
Existenz des Fabrikarbeiters, mit einer Hoch Verdienstphase zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr. Vgl.
dazu allgemein Schröder 1978, S. 212-219; Borscheid 1986, passim; besonders ausführlich Reif,
Heinz: Soziale Lage und Erfahrungen des alternden Fabrikarbeiters in der Schwerindustrie des west¬
lichen Ruhrgebiets während der Hochindustrialisierung, in: Archiv für Sozialgeschichte 22 (1982),
S. 1-94. In Neunkirchen und Düdelingen scheinen in der Tat die Alterskohorten zwischen 20 und
40 Jahren dominiert zu haben, sodass sich eine Altersstruktur mit einem klaren Schwergewicht in den
mittleren Jahrgängen ergab. Die Auswertung der Neunkircher Fremdenbücher brachte zum Vorschein,
dass 1.088 von 2.090 zugewanderten Arbeitern (52,1%) aus der Stichprobe zwischen 21 und 40 Jahre
alt waren, mithin das beste Arbeitsalter hatten. Groß ist aber auch der Anteil der jüngeren Arbeiter
von 14 bis 20 Jahren mit 849 Personen (40,6%). Nur gering war der Anteil der über 50-Jährigen mit
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