Werksrhythmus ausrichten.41 Die Hüttenstadt Neunkirchen lebte und pulsierte im Takt
ihres größten Unternehmens.
Die Betriebe wachten streng über die genaue Einhaltung der Arbeitszeiten. Bei Ver¬
spätungen oder Absentismus waren Strafen fällig. So fanden sich in einem Strafkatalog
des Neunkircher Walzwerks aus der Zwischenkriegszeit Eintragungen, die sich grob vier
Kategorien von Zeitvergehen zuordnen lassen: Absentismus, Unpünktlichkeit, eigen¬
mächtige Verkürzung der Arbeitszeit sowie Kontrollmarkenvergehen. Der ersten Kate¬
gorie gehören Eintragungen wie „nicht auf Schicht“, „entfernte sich von seiner Arbeits¬
stelle“ oder „fehlte zwei Schichten ohne Urlaub“ an. Unter Unpünktlichkeit lassen sich
Bemerkungen wie „kam zu spät auf Schicht“ subsumieren. Der dritten Kategorie zuzu¬
ordnen sind Angaben wie „dehnte die Pause zu lange aus“ oder „hat die Arbeit zu früh
verlassen“.42 Die Zeit wurde in Neunkirchen noch lange mittels einfacher Marken kon¬
trolliert, die bei Beginn und Ende der Schichten ab- beziehungsweise eingehängt werden
mussten, (eder Arbeiter musste seine Marke, dies war ganz entscheidend, selbst ein- und
abhängen, um Manipulationen vorzubeugen und die Anwesenheit jedes Einzelnen über¬
wachen zu können.43 Zu Kontrollmarkenvergehen zählten Anmerkungen wie „hängte
seine Marke nicht ab“, „hängte seine Marke nicht ein“ oder „ließ sich von einem ande¬
ren die Marken aufhängen“. Derlei Übertretungen wurden in der Regel mit Geldstrafen
von 50 Centimes geahndet, Unpünktlichkeit kam mit Geldstrafen von einem bis zwei
Francs schon teurer zu stehen. Härter bestraft wurde Absentismus. So wurden wegen
„falscher Urlaubsangabe“ durchaus bis zu zehn Francs fällig, bei wiederholtem Nichter¬
scheinen konnten vorübergehende Suspendierungen ausgesprochen und Kündigungen
angedroht werden.44 Ein ähnlicher Strafkatalog mit ähnlichen Vergehen, die geahndet
wurden, existierte in Düdelingen. In der Stammrolle von 1901 beispielsweise wurden
einige entsprechende Entlassungsgründe aufgeführt. Arbeitszeitvergehen wurden abge¬
straft, wenn Einträge wie „manque trop“ oder „absence au travail“ vorlagenT An den ge¬
nauen Arbeitszeit- und Pausenregelungen, den Kontrollmechanismen, dem Strafsystem,
der Verbindlichkeit der Zeitsignale sowie dem Ausstrahlen des Werksrhythmus in die
außerbetriebliche Sphäre offenbart sich, inwieweit die Zeitökonomie der industriellen
Arbeitswelt den Hüttenstandorten Neunkirchen und Düdelingen ihren Takt aufzwang.
Die zahlreich dokumentierten Arbeitszeitvergehen belegen aber genauso, dass diese
Zeitökonomie nicht, wie von den Unternehmern intendiert, lückenlos griff, sondern
dass es das arbeitende Individuum immer wieder verstand, sich Freiräume zu verschaffen.
41 Vgl, ebd„ S. 33. Dieses ,Essentragen‘ war ebenfalls Gegenstand der Arbeitsordnungen und ein weit
verbreitetes Phänomen in größeren Industriezentren, so etwa auch bei Krupp in Essen. Vgl. Lüdtke
1980, S. 112 f.
a Alle Angaben nach: Strafkatalog Walzwerk NE 1913-192.8.
43 Vgl. Flohr 1981, S. 41. Die Kontrolle des korrekten Umgangs mit den Marken oblag i.d. R. dem
Pförtner.
Alle Angaben nach: Strafkatalog Walzwerk NE 1923-192.8.
Alle Angaben nach: AnLux, ADU-U1-113.
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