die industrielle Zeitökonomie: die gut sichtbare Uhr in der Werkshalle, diverse Kon-
trolimittel zur Erfassung der Arbeitszeit (Stech- oder Lochkarten, Kontrollmarken)
oder die weit hörbare Werkssirene. Der Einzelne musste sich den Zeitvorgaben beu¬
gen, andernfalls er Strafmaßnahmen bis hin zur Kündigung zu erwarten hatte. In Para¬
graph ii der Düdelinger Fabrikordnung heißt es:
„Quand le signal est donné à la reprise du travail, tout le monde doit se trouver à son poste qui
ne pourra plus être quitté qu’aux heures de repos et à la fin du travail. Il est sévèrement interdit
de faire les préparatifs du départ, de se laver ou de s habiller avant le signal. Celui qui est dans le
cas d’être relevé, ne pourra quitter son poste avant l’arrivée de celui qui doit le relayer.“* 38
Das Signal, das nicht genauer beschrieben wird, gibt also den Arbeitstakt vor, wenn¬
gleich auch der einzelne Arbeiter selbst verpflichtet wird, auf die Zeit zu achten, musste
er sich doch mit dem Signal bereits wieder an seinem Arbeitsplatz befinden, um un¬
mittelbar mit der Arbeit beginnen zu können. Die Arbeitszeit zwischen Pausen und
Schichtende sollte ausschließlich der Arbeit dienen. Das Waschen, Umziehen oder
sonstige Verrichtungen, die der Vorbereitung auf die Arbeit oder der Vorbereitung auf
das Nachhausegehen dienten, mussten außerhalb davon erfolgen. Das angesprochene
Signal war wohl, wie in Neunkirchen üblich, akustischer Natur. Hier heißt es in der
Allgemeinen Arbeitsordnung von 1892 in der Festlegung der Winterarbeitszeit: „Das
Ende der Schicht [..,] wird durch das Nebelhorn oder durch Läuten verkündet.“39 40 Heinz
Gillenberg meint dazu: „Diese ,Hüttetut‘ oder ,emm Stumm sei EseP hat dann fast
100 Jahre auch das Leben in Neunkirchen auf die Schichtwechselzeiten abgestimmt.“ So
hätten sich etwa Geschäfte oder Kneipen in ihren Öffnungszeiten nach den Schichtzei¬
ten des Werks gerichtet.4,1 Der industrielle Zeitrhythmus, so zeigt sich, gliederte den Ta¬
gesablauf in der gesamten Industriegemeinde, nicht bloß innerhalb der Werksmauern.
Werksleben und Stadtleben griffen eng ineinander. Geradezu sinnbildlich dafür sind die
Neunkircher Ehefrauen und Kinder, die ihren Männern beziehungsweise Vätern täglich
das Essen für die Pause brachten: Sie mussten zu bestimmten Zeiten liefern, um nicht
vor verschlossenen Werkstoren zu stehen, letztlich ihren eigenen Tagesablauf nach dem
i. November bis zum 28. Februar, der Gesamtzeitraum wurde noch einmal in mehrere Phasen unter¬
gliedert: Diese dauerten vom 1. bis zum 10. November, vom 11. bis zum 20. November, vom 21. bis zum
jo. November, vom 1. Dezember bis zum 31. Januar, vom 1. bis zum 10. Februar, vom n. bis zum 20. Fe¬
bruar sowie vom 21. Februar bis zum Ende des Winterdiensts. Die Abschnitte richteten sich nach den
wechselnden Lichtverhältnissen. Es änderten sich jeweils die Anfangs-, End- und Pausenzeiten, wenn
auch zum Teil nur minimal. Vgl. Allgemeine Arbeitsordnung NE 1892, S. jf. Weiterhin heißt es dort,
„das Ende der Schicht richtet sich nach dem Eintritt der Dunkelheit“.
38 Règlement de service 1891, §11. Zitiert nach Conrardy 1991, S. 206.
39 Allgemeine Arbeitsordnung NE 1892, S. 3.
40 Vgl. Gillenberg 1989, S. 32 f. Gillenberg imitiert in dem Exzerpt saarländisches Idiom. Alle Fier-
vorbebungen im Original.
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