Hierzu ist generell zu sagen, dass die Maschine zwar tatsächlich einen immer brei¬
teren Raum in der Fabrik einnahm. Dem sind aber zwei Punkte entgegen zu halten:
Erstens war in der industriellen Produktion, die Fallbeispiele Neunkirchen und Düde-
lingen zeigen dies sehr deutlich, auf schierer Körperkraft basierende Handarbeit wei¬
terhin von großer Bedeutung. Mechanisierung wirkte nicht linear und flächendeckend,
sondern eher als Tendenz. Zweitens ist das Dequalifikationstheorem zu einseitig mo¬
delliert, indem angenommen wird, ältere Qualifikationen seien einfach verschwunden.
Vielmehr war es so, dass zunehmend neue Fertigkeiten etwa in der Bedienung der Ma¬
schinen gefragt waren, die nun aber immer seltener in einer ordentlichen Lehre, son¬
dern eher durch Erfahrung am Arbeitsplatz (trainingon thejob) erworben wurden.* 8 So
wuchs mit zunehmender Maschinisierung die Zahl der angelernten Arbeiter, daneben
blieben aber Fachkräfte durchaus von Bedeutung. Die Zahl der ungelernten Arbeiter,
die Handlangerdienste, vor- und nachbereitende Aufgaben oder Transportarbeiten zu
verrichten hatten, war gerade in der Eisen- und Stahlindustrie groß. In späteren Phasen
der Industrialisierung war aufgrund der wachsenden Komplexität der Maschinerie, die
immer mehr Fertigkeiten in der Bedienung voraussetzte, sogar ein gewisser Trend zur
,Requalifizierung‘ auszumachen.9
Ein geradezu konstitutives Wesensmerkmal industrieller Arbeit im zentralisierten
Betrieb war die weit entwickelte Arbeitsteilung. Zu den Bestimmungsmerkmalen des
Handwerkers zählte (und zählt) der Umstand, dass er die Produktion eines Werkstücks
von der Planung bis zur Endfertigung eigenständig konzipiert, durchführt und gegebe¬
nenfalls korrigiert. Im Industriebetrieb hingegen wird der Fertigungsprozess in kleinere
Einheiten zerlegt. Viele Arbeiter sind nur noch mit kleinen Teilaufgaben betraut und
überblicken auch nur einen sehr kleinen Teilbereich des Produktionsablaufs.10 Das ge¬
Erinnert sei an den in Neunkirchen geführten Rationalisierungsdiskurs der Zwischenkriegszeit, in
dem permanent die Verbesserung der Maschinerie eingefordert wurde, oder an die oben kurz skizzierte
Schwere der Handarbeit in der Düdelinger roulage.
8 Vgl. Radkau 2008, S. 69 ff
9 Vgl. dazu für die Hüttenindustrie Welskopp 1994, S. 509-517.
10 Zur Abgrenzung von handwerklicher Tätigkeit und industrieller Fabrikarbeit vgl. Ruppert 1983,
S. 19 f. Für Karl Marx bedeutete gerade die Arbeitsteilung einen wesentlichen Flntfremdungsfaktor in¬
dustriekapitalistischer Arbeit: Der Arbeiter wurde dem Produkt seiner Arbeit und damit der Arbeit an
sich, dadurch in letzter Konsequenz aber seiner menschlichen Natur, entfremdet. Marx schreibt zur Ar¬
beitsteilung und ihren Auswirkungen unter anderem: „Die Teilung der Arbeit ist der nationalökonomi¬
sche Ausdruck von der Gesellschaftlichkeit der Arbeit innerhalb der Entfremdung. Oder, da die Arbeit
nur ein Ausdruck der menschlichen Tätigkeit innerhalb der Entäußerung [...] ist, so ist auch die Teilung
der Arbeit nichts anderes als das entfremdete, entäußerte Setzen der menschlichen Tätigkeit als einer
realen Gattungstätigkeit oder als Tätigkeit des Menschen als Gattungswesen? Das Gattungsmerkmal
des Menschen ist also die Arbeit, verstanden als ganzheitlicher, schaffender Prozess. Dies wird durch die
Teilung der Arbeit, die im Industriezeitalter auf die Spitze getrieben wird, negiert. Zitiert nach Lieber,
Hans-Joachim/HELMER, Gerd (Hrsgg.): Marx-Lexikon. Zentrale Begriffe der politischen Philosophie
von Karl Marx, Darmstadt 1988, S. 29.
196