die sozialen Beziehungen in sämtlichen Handlungsfelderm21 Um das Sozialprofil der
Hüctenarbeiterschaft konturieren zu können, muss sich der Blick also verstärkt dem Ar¬
beitsplatz selbst zuwenden. Dies scheint umso plausibler zu sein, wenn man bedenkt, dass
in den beiden hier verhandelten Werken wie andernorts die tägliche Normalarbeitszeit
wenigstens vor dem Ersten Weltkrieg zwölf Stunden betrug, dass die Arbeit mithin einen
großen Teil des Alltags absorbierte. Entsprechend soll das „betriebliche Handlungsfeld“2 '
in seinen zentralen Merkmalen untersucht werden. Das Interesse gilt vor allem der Beleg¬
schaftsstruktur, wobei Einsatzorte, Tätigkeiten, Berufe, Qualifikationsprofile, Arbeitsbe¬
dingungen, Löhne und Fluktuationsverhalten in die Untersuchung einfließen. Überdies
werden einige typische Formen der Kooperation sowie die Mechanismen der Disziplinie¬
rung, aber auch die Bemühungen der Hüttenarbeiter um Autonomieräume im Betrieb
aufgezeigt. Welche Bedeutung hatte die Arbeitssituation im Hüttenbetrieb also für die
Gruppenbildung der Eisen- und Stahlarbeiter und welche Voraussetzungen schuf sie für
die politisch-gewerkschaftliche Vergemeinschaftung? Der Bereich der Arbeit im Hütten¬
werk fand weder in der saarländischen noch in der luxemburgischen Geschichtswissen¬
schaft bislang die ihm gebührende Aufmerksamkeit.
Eine zweite Teilfrage richtet sich auf das Handeln der Unternehmer und die indus¬
triellen Beziehungen zwischen Unternehmertum und Arbeiterschaft. Etwas überspitzt,
aber durchaus treffend fasst Jürgen Kocka zusammen: „Arbeiterschaft und Arbeiterbe¬
wegung können nicht hinreichend in ihrer Entwicklung analysiert werden, wenn nicht
ihr Haupt-Widerpart einbezogen wird, die Unternehmer, die innerhalb und außerhalb
der Unternehmen viele der Bedingungen setzen, aus denen heraus die Situation, die
Haltungen und das Verhalten der Arbeiter erst verständlich werden.“2^ Zwar folgt die
vorliegende Studie ganz ausdrücklich der mittlerweile mehrheitlich vertretenen Auf¬
fassung, dass die industriellen Beziehungen nicht als ein rein dichotomisches Verhältnis
von Befehl und Gehorsam zu modellieren sind, da auch die Arbeiter mit spezifischen
Handlungsressourcen ausgestattet waren und die sozialen Beziehungen im Betrieb eher
einem ständigen Austarierungsprozess verschiedener Akteure unterlagen.23 26 Dennoch
23 Welskopp 1994, S. 717.
24 Welskopp arbeitet mit dem Konzept der „sozialen Handlungsfelder“. Der Betrieb wird als eines die¬
ser Handlungsfelder begriffen. Die Arbeiter waren demzufolge einerseits handelnde Akteure, anderer¬
seits wurde ihr Handeln von den Strukturen des Feldes vorgeprägt. Unter den zahlreichen konzeptio¬
nellen Beiträgen Welskopps vgl. Welskopp, Thomas: Der Betrieb als soziales Handlungsfeld. Neuere
Forschungsansätze in der Industrie- und Arbeitergeschichte, in: Geschichte und Gesellschaft 11 (1996),
S. 118-141; außerdem Welskopp 1994, S. 41-49. Das Konzept wird weiter unten noch ausführlich
erläutert.
27 Kocka, Jürgen: Unternehmer in der deutschen Industrialisierung, Göttingen 1975, S. 5.
26 Karl Lauschke und Thomas Welskopp operieren mit dem Konzept der „Mikropolitik“, die im Un¬
ternehmen zwischen den einzelnen Akteuren stattfinde. Vgl. Lauschke, Karl/WELSKOPP, Thomas
(Hrsgg.): Mikropolitik im Unternehmen. Arbeitsbeziehungen und Machtstrukturen in industriellen
Großbetrieben des 10. Jahrhunderts (Bochumer Schriften zur Unternehmens- und Industriegeschichte,
Bd. 3), Essen 1994.
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