chende Untersuchungen zur Fabrikarbeiterschatt noch ausstehen. Völlig zu unrecht fand der
bergbauliche Bereich in der Vergangenheit regionalgeschichtlich gegenüber den großen Hüt-
tenunternehmen [...] eine überproportionale Berücksichtigung. Es gehört ohne Zweitel zu den
dringlichsten Desiderata saarländischer Sozialgeschichtsschreibung, die nahezu inexistente Fa¬
brikarbeitergeschichte aus dem Schatten der Bergmann-Historie herauszuführen.'s
Die saarländische Arbeiterhistoriographie fokussierte sich, wie Leiner kritisiert, na¬
hezu ausschließlich auf den Steinkohlenbergbau. Neben der schlechteren Quellenlage
mag hierfür die vermeintliche politische Apathie der Eisen- und Stahlarbeiter eine wich¬
tige Rolle spielen: Während sich die Bergleute zwischen 1889 und 1893 zu mehreren
spektakulären Ausständen anschickten,8 9 fehlten derartige Akte der öffentlichen Insub¬
ordination unter den Hüttenleuten nahezu vollständig. Überdies ging von der semistän¬
dischen Tradition der Bergleute, die sich etwa in einem eigenen Symbol- und Riten¬
haushalt niederschlug, eine gewisse Faszination aus, während die Hüttenarbeiterschaft
als eine „Kreation aus dem Nichts“ erschien.10 Das von den Eisen- und Stahlarbeitern
vielfach gezeichnete Bild entsprach dem einer unterdrückten und vollkommen unselb¬
ständigen Masse, die am Gängelband der Unternehmer kein Eigenleben entfalten konn¬
te.11 Damit verlor die saarländische Arbeitergeschichtsschreibung den Anschluss an die
überregionale Forschung, die vor allem seit den frühen 1990er Jahren immer stärker das
eigenständige Profil der Hüttenarbeiter herausstellte.12 Auch in der noch relativ jungen
fachwissenschaftlichen Diskussion im Großherzogtum Luxemburg erfuhren die Eisen-
8 Leiner, Stefan: Migration und Urbanisierung. Binnenwanderungsbewegungen, räumlicher und so¬
zialer Wandel in den Industriestädten des Saar-Lor-Lux-Raumes 1856-1910. Malstatt-Burbach, Dieden-
hofen und Esch-an-der-Alzette im Vergleich (Veröffentlichungen der Kommission für Saarländische
Landesgeschichte und Volksforschung, Bd. 23), Saarbrücken 1994, S. 19.
9 Vgl. Mallmann, Klaus-Michael/STEFFENS, Horst: Lohn der Mühen. Geschichte der Bergarbeiter
an der Saar, München 1989, Кар. IV.
10 Ames, Gerhard: Arbeiten auf der Hütte. Lebenskontexte von Hüttenarbeitern, in: Dülmen, Ri¬
chard van (Hrsg,): Industriekultur an der Saar. Leben und Arbeit in einer Industrieregion 1840-1914,
München 1989, S. 109-122, hier S. 114.
11 Der Titel eines kleinen Beitrages aus einem Sammelband zur Saargeschichte kann hier geradezu als
programmatisch gelten: Horch, Hans: Herr und Knecht im Hause Stumm, in: Mallmann, Klaus-
Michael/ScHOCK, Ralph/KLIMMT, Reinhard (Hrsgg.): Richtig daheim waren wir nie. Entdeckungs¬
reisen ins Saarrevier 1815-1955, Bonn 1987, S. 55-60.
12 Unter den zahlreichen Beiträgen von Thomas Welskopp sei hier erwähnt: Welskopp, Thomas:
Arbeit und Macht im Hüttenwerk. Arbeit und industrielle Beziehungen in der deutschen und ame¬
rikanischen Eisen- und Stahlindustrie von den 1860er bis zu den 1930er Jahren, Bonn 1994. Weitere
wichtige Arbeiten lieferten: Zumdick, Ulrich: Hüttenarbeiter im Ruhrgebiet. Die Belegschaft der
Phoenix-Hütte in Duisburg-Laar 1853-1914 (Industrielle Welt, Bd. 49), Stuttgart 1990; Коска, Jür¬
gen: Arbeitsverhältnisse und Arbeiterexistenzen. Grundlagen der Klassenbildung im 19. Jahrhundert
(Geschichte der Arbeiter und der Arbeiterbewegung in Deutschland seit dem Ende des 18. Jahrhun¬
derts, Bd. 2), Bonn 1990, S. 413-436. Diese und andere Autoren betonten das eigenständige, spezielle
Profil der Arbeiter im zentralisierten Großbetrieb der Eisen- und Stahlindustrie.
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