einen regen Bevölkerungsaustausch „zwischen Neunkirchen und dem übrigen Saarre-
vier in bezug auf Arbeitskräfte“ hin und macht damit auf die große Binnenmobilität im
Zeitalter der Industrialisierung aufmerksam.449
Ein Aspekt sticht bei allen aufgeführten Studien hervor: die nahezu vollständige Ab¬
senz von Fernwanderung. Zwar erwähnt Helmut Friihauf für die erste Hälfte des 19. Jahr¬
hunderts die Anwesenheit von Puddlern aus England und besonders aus Südwales.450
Diese Arbeitskräfte aus dem industriellen Pionierland brachten große Expertise mit und
trugen in Deutschland ganz wesentlich zur Implementierung des Puddelverfahrens bei.451
Die Zuwanderung der Briten ist jedoch ein spezielles Phänomen und in seiner quantita¬
tiven Dimension sicher zu vernachlässigen. Sie unterscheidet sich von der Fernzuwande¬
rung ausländischer Arbeitskräfte in späteren Phasen der Industrialisierung dadurch, dass
es sich um qualifizierte Fachkräfte handelte, während das Gros späterer Fernwanderer,
wie es auch bei den Italienern in Düdelingen der Fall war, ungelernt war und tendenzi¬
ell mit körperkraftbasierten Hilfstätigkeiten betraut wurde. Auch die Zuwanderung von
Wallonen und eventuell auch Slawen nach Neunkirchen in vorindustrieller Zeit hängt
mit dem eigentlichen Thema der vorliegenden Studie nur bedingt zusammen.452
Es bleibt festzuhalten, dass auch die einschlägige Forschung nur teilweise zur Erhel¬
lung des Phänomens der Zuwanderung nach Neunkirchen beiträgt. Die wesentlichen
Herkunftsgebiete werden benannt, die nahezu ausschließliche Dominanz der Binnen-
und Nahmigration unterstrichen. Allerdings bleiben weiterhin Fragen offen, gerade die
Quantitäten betreffend. Joachim Jacob nennt Zahlen, bezieht sich dabei aber auf die
gesamte Einwohnerschaft, die nicht unbedingt gleichzusetzen ist mit den Hüttenarbei¬
tern. Keinerlei Aussagen werden zudem über bestimmte Migrationsmuster und -formen
getroffen, ebenso wenig werden die Herkunftsgebiete konkretisiert, etwa durch Rück¬
koppelung an politische Einheiten, die aufgrund ihrer klaren Definition eine sichere
Grundlage für Provenienzanalysen sind. Zur weiteren Erhellung des Phänomens sollten
sich also weitere Nachforschungen anschließen.
Eine exzellente Quellengattung zur Analyse demographischer und migratorischer
Phänomene sind die im Stadtarchiv Neunkirchen überlieferten Neunkircher Fremden¬
bücher. Zugezogene Personen mussten sich in Neunkirchen registrieren und wurden in
diesen Büchern nach verschiedenen Parametern erfasst. Der Bestand an Fremdenbü¬
chern ist nach Buchstaben gegliedert, jedes Buch chronologisch nach Jahreszahlen auf¬
gebaut. Die Bücher decken den Zeitraum von 1861 bis Oktober 1911 ab und sind jeweils
in zwei Teile gegliedert: Band 1 behandelt die Zeit von 1861 bis 1900, Band 2 die Phase
449 Ebd, S. 434 f.
450 Vgl. Frühauf 1980, S. 46.
451 Vgl. Fremdling, Rainer: Der Puddler - Zur Sozialgeschichte eines Industriehandwerkers, in: En¬
gelhardt, Ulrich (Hrsg.): Handwerker in der Industrialisierung. Fage, Kultur und Politik vom späten
18. bis ins frühe 20. Jahrhundert (Industrielle Welt, Bd. 37), Stuttgart 1984, S. 637-665, hier S. 639-643.
452 Vgl. dazu Gillenberg 1989, S. 11.
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