Full text: Arbeiterexistenzen und Arbeiterbewegung in den Hüttenstädten Neunkirchen, Saar und Düdelingen, Luxemburg

Die oben erwähnten und erläuterten Punkte dienen dabei als Analysekorsett. Es geht 
also zunächst um die Frage, woher die Hüttenwerke von Neunkirchen und Diidelingen 
ihre Arbeiterschaft bezogen und entlang welcher Mechanismen sich ciie Zuwanderung 
gestaltete. Sodann wird an beiden Industriegemeinden die Frage diskutiert, wie sich die 
Zuwanderung auf die Gruppenkonstellationen der Arbeiterbevölkerungen sowie auf 
deren mentale Dispositionen auswirkte.406 
2.1 Neunkirchen: Nah- und Binnenmigration 
Das rasante und nachhaltige Stadtwachstum Neunkirchens im Zeitalter der Industriali¬ 
sierung beschäftigte auch die lokale Presse. 1896 wusste die Neunkircher Volkszeitung, 
Bezug nehmend auf das Vorjahr 1895, von 2.643 zugezogenen Personen zu berichten.40 
Darunter waren 2.428 Erwachsene und 215 Kinder. 385 Familien mit 1.633 Personen 
hätten 1.010 „einzelne Arbeiter“ gegenüber gestanden.408 Hier zeigt sich für den Fall 
Neunkirchen also, dass nicht, wie vielfach vermutet wird, fast ausschließlich ledige jun¬ 
ge Männer in die Industriezentren gewandert sind, sondern auch zahlreiche Familien 
mit Kindern. Das der freisinnigen Strömung innerhalb des deutschen Liberalismus 
nahe stehende Blatt409 interessierte sich vor allem für die berufliche Struktur der Zu- 
wanderer. Mit 762 Personen arbeiteten fast 29 Prozent der Neuankömmlinge auf der 
Hütte. Im Bergbau fanden 425 Personen Anstellung (16,1 %). Stark vertreten waren fer¬ 
ner Handwerker (360 Personen/13,6 %) sowie die Baubranche (338/12,8 %),410 Das Bild 
der Hüttenstadt Neunkirchen bestätigt sich insofern, als die Eisen- und Stahlarbeiter 
die größte Zuwanderergruppe stellten. Gibt der Artikel also einen anschaulichen Ein¬ 
druck von der Erwerbsstruktur der zuwandernden Bevölkerung, so interessiert er sich 
nur sporadisch für deren regionale Herkunft. Es wird lediglich unterschieden zwischen 
„preußischen und nicht-preußischen Familien“, wobei letztere hauptsächlich aus Bayern 
406 Vgl. dazu auch Trinkaus, Fabian: aus allen Himmelsgegenden wird die Bevölkerung durch 
den gebotenen Erwerb herbeigelockt“. Zuwanderung und Industriearbeiterschaft in den Hüttenstädten 
Neunkirchen/Saar und Düdelingen/Luxemburg vor dem Ersten Weltkrieg, in: Jahrbuch für westdeut¬ 
sche Landesgeschichte 38 (2011), S. 339-367. 
Neunkircher Volkszeitung, 7.1.1896. Der entsprechende Artikel trägt den Titel „Statistischer Be¬ 
richt: Zuzug in Neunkirchen - 1893: insges. 2.643, geordnet nach Berufsständen“. Die hier genannte 
Zahl von 2.643 Zuwanderern ist außerordentlich hoch. Es sei daran erinnert, dass das Mobiliätsvolu- 
men im Zeitalter der Industrialisierung wesentlich höher war als der tatsächliche Wachstumsgewinn. 
Vgl. noch einmal Oltmer 2010, S. 23; außerdem Langewiesche 1977, S. 36. Der von Oltmer, Lange - 
wiesche und anderen beschriebene Sachverhalt lässt sich am Beispiel Neunkirchens also sehr gut nach¬ 
vollziehen. 
408 Neunkircher Volkszeitung, 7.1.1896. 
409 Vgl. Stadtverwaltung Neunkirchen (Hrsg.) 1955, S. 254. 
4|" Weitere 123 Personen (4,7 %) fanden im Eisenbahnbereich Anstellung. Ebenso fanden sich unter 
den Zuwanderern 181 Tagelöhner, 144 Dienstboten und 93 nicht näher spezifizierte Gewerbetreibende. 
Alle Daten aus Neunkircher Volkszeitung, 7.1.1896. 
122
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.