Ruhrgebiet als Folge der polnischen Zuwanderung schreibt Klaus Tenfelde: „Für die In¬
teressenfindung und -artikulation der Arbeiterschaft im Belegschafts- und überbetriebli¬
chen Rahmen mußte isoliertes Gruppenverhalten retardierende Wirkung ausüben; der
Zuzug großer Arbeiterscharen wirkte sich [...] protesthindernd ausT4<w In diesem Zusam¬
menhang betont René del Fabbro auch das ambivalente Verhältnis der Gewerkschaften
zu den Zuwanderern. Funktionäre der zeitgenössischen Arbeiterbewegung sahen in den
Immigranten nicht selten Streikbrecher und Lohndrücker, somit also Hindernisse im
Kampf um soziale und politische Emanzipation.405 Widersprüche zwischen internatio¬
nalistischer Rhetorik und politischem Denken und Handeln in dezidiert nationalen Ka¬
tegorien fanden sich zuhauf in der Arbeiterbewegung des späten 19. und frühen 10. Jahr¬
hunderts, nicht zuletzt auch in Luxemburg.
2 Herkunftsgebiete und Migrationssysteme:
Regionale Provenienz der Hüttenarbeiterpopulationen
In den vorangegangenen Abschnitten wurden lediglich einige Schlaglichter im Kontext
der historischen Migrationsforschung gesetzt. Nachdem zunächst die wichtigsten allge¬
meinen Terminologien und methodischen Grundlagen der Migrationshistoriographie
eingeführt wurden, wurde unter dem Begriff der „Migrationsfolgeerscheinungen“ ver¬
sucht, den Konnex zur Arbeitergeschichtsschreibung herzusteilen. Dabei wurde unter
dem Verweis auf einschlägige Forschungsarbeiten gezeigt, dass diese Zusammenhänge
zentraler Bestandteil der wissenschaftlichen Arbeiterhistoriographie sind. Im Folgen¬
den sollen nun Formen von Migration an den beiden Fallbeispielen diskutiert werden.
Provinz (1918-1933). Politische Identität zwischen Konfession und Klassenlage, in: Tenfelde, Klaus
(Hrsg.): Arbeiter im 2.0. Jahrhundert (Industrielle Welt, Bd. 51), Stuttgart 1991, S. 321-341; Philipps,
Sigrid: Vereinsgründungen wider die „rote Flut“. Organisation und Praxis der katholischen Arbeiter¬
und Arbeiterinnenvereine, in: Foltin, Hans-Friedrich/KRAMER, Dieter (Hrsgg.): Vereinsforschung
(Hessische Blätter für Volks- und Kulturforschung, Bd. 16), Gießen 1984, S. 103-116; Assion, Peter:
Arbeiterbewegung und katholisches Vereinswesen, in: Lehmann, Albrecht (Hrsg.): Studien zur Arbei¬
terkultur. Beiträge der 2. Arbeitstagung der Kommission „Arbeiterkultur“ in der Deutschen Gesellschaft
für Volkskunde in Hamburg vom 8. bis 12. Mai 1983 (Beiträge der Arbeitstagung der Kommission „Ar¬
beiterkultur“ in der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde, Bd. 2), Münster 1984, S. 174-200; Brandt,
Hans-Jürgen: Kirchliches Vereinswesen und Freizeitgestaltung in einer Arbeitergemeinde 1871-1933:
Das Beispiel Schalke, in: Huck, Gerhard (Hrsg.): Sozialgeschichte der Freizeit. Untersuchungen zum
Wandel der Alltagskukur in Deutschland, Wuppertal 1980, S. 207 -222. Zur katholischen Sozialpolitik
und den katholischen Arbeiterorganisationen während des Kaiserreichs vgl. Loth, Wilfried: Soziale Be¬
wegungen im Katholizismus des Kaiserreichs, in: Geschichte und Gesellschaft 17 (1991), S. 279-310, bes.
S. 298-304. Zur Problematik allgemein vgl. auch eine neuere Studie von Prüfer, Sebastian: Sozialismus
statt Religion. Die deutsche Sozialdemokratie vor der religiösen Frage 1863-1890 (Kritische Studien zur
Geschichtswissenschaft, Bd. 152), Göttingen 2001.
404 Tenfelde 1977, S. 246.
405 Vgl. Del Fabbro 1992, S. 224-127.
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