Full text: Vorlesungen über praktische Philosophie

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Kap. II. § 28. 
sie; sie könnte gar nicht existieren, auch nicht als Gedanke, 
geschweige als das, als was sie sich doch in uns fühlt und 
weiß: als Sinn und Kraft des Lebens, des All-lebens, welches 
nicht anders als eines sein kann, sonst wäre es nicht alles. 
Aller Beweis der Bedingtheit alles dessen, was wir von den 
Dingen zu kennen vermögen, ändert daran nicht nur nichts, 
sondern kann zuletzt nur es bestätigen, denn alle diese gren¬ 
zenlosen Bedingtheiten könnten, eben in ihrer Grenzenlosig¬ 
keit schon ihrem Begriff nach, vollends in Wirklichkeit, nach 
der letzten Wahrheit des Seins, nicht bestehen, anders als 
unter Voraussetzung nicht eines, sondern des letzten Un¬ 
bedingten, in keinem Sinne mehr Bedingten. Dieses kann 
keine Philosophie, d. h. kein folgerechtes Durchdenken der 
Dinge umgehen oder in Abrede stellen wollen. Es schlummert 
in allem, es schlummert nicht bloß und spricht nicht bloß wie 
im Traum, sondern erwacht und weiß sich in den Wissenden. 
Aber es ist nicht bloß in allem Wissen das letzte Wissende, 
sondern erst recht in allem Wollen das letzte Wollende. Dies 
beides ist übrigens jedes vom andern untrennbar; das Wollen 
aber übertrifft das bloße Wissen weit an Unmittelbarkeit der 
Zurückbeziehung auf den unendlichen Quell. Im Wollen hegt 
eine direkte Unendlichkeitsbeziehung und zugleich Indivi¬ 
dualbeziehung, die dem bloßen Wissen unerreichbar bleibt. 
Indessen ist dies doch noch nicht das Letzte von Indivi- 
duität. Es weiß vom Letzten, aber weiß nicht es selbst. Es 
weiß, daß es ist, und empfängt von ihm die Richtung, aber 
bleibt selbst in der Endlichkeit, im endlosen Fortgang von 
Ende zu Ende. Es hat, wie schon gesagt, gleichsam den einen 
Pol im Endlichen, nur den andern im Uberendlichen. Darum 
bleibt es eben im Wollen und Sollen, im Zielstreben, welches 
gerade zur Voraussetzung hat das Nicht-am-Ziel-sein. Es 
trägt in sich die Zielrichtung auf das Unbedingte hin, aber 
nicht es selbst, das Unbedingte. Soll die ganze Tiefe des 
Sinnes des Wollens und der Handlung sich erschüeßen, so muß
	        
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