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Kap. II. § 27.
physisch gerichteten, materiellen Arbeitsleben — all diese
harten, die Menschheit zerstörenden und innerlich auflösenden
Scheidungen müssen fallen; und sie fallen alle auf einen
Streich, sobald man sich auf den echten Sinn der Individuität
besinnt, die nicht anders bestehen kann als auf Grund einer
durchgängigen Wechselbegleitung und Wechseldurchdringung,
wie unser vorzugsweise an Leibniz orientierter Aufbau der
Grundkategorien sie fordert und sicherstellt. Andernfalls (das
wird gerade Leibniz nicht müde auszusprechen) bliebe die
Welt ein Chaos und wäre nicht mehr Schöpfung. Es gäbe
in ihr nur Divergenz, der keine Konvergenz, Außenspannung,
der keine Innenspannung mehr die Wage hielte. So würde
Formung ihr als ganzer (sie heißt aber doch Kosmos) und in
ihrem weitaus größten Teile fremd sein und ewig fremd
bleiben. So freilich scheinen viele sich bis dahin die „Ent¬
wicklung“ wirklich gedacht zu haben oder noch so zu denken:
als ewige Divergenz, der allenfalls ein gewisses bescheidenes
Maß vergänglicher Formung mühsam und schließlich aus¬
sichtslos nachzufolgen strebt. Aber Entwicklung ist wirklich
gar nicht denkbar ohne letzten inneren Zusammenhalt dessen,
was sich entwickelt. Die Ahnung der Unendlichkeit der Ent¬
wicklungsmöglichkeiten ist es, die hier irregeleitet hat, weil
man sie als bloße Endlosigkeit des Fortgangs mißverstand.
Man machte sich nicht klar, daß das bloße Nimmerenden des
Immerendens selbst nichts Endgültiges sein kann; daß es aus
sich allein gar keiner Totalität fähig wäre; daß es aber eben
damit zwingend zurückwreist auf eine überendliche Einheit.
Diese hat gewiß in empirischer Erforschung nichts zu suchen;
ihr würde es in den Einzelheiten ihrer Aufgabe nicht weiter¬
helfen. Übrigens hat sie auch für sie die regulierende Be¬
deutung stets bewiesen und beweist sie fort und fort, welche
Kant ihr, eben für sie, mit allem Recht zuerkannt hat: die Be¬
deutung des letzten Richtmaßes, ohne welches auch von einem
Fortschreiten der Wissenschaft nicht die Rede sein könnte.