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die Mathematik und Methodik der Naturwissenschaft seit
Gauß erfahren hat. Dann steht nicht mehr eine tote Form
einer erst recht toten Materie gegenüber, sondern die ewig
lebendige Form (d.i. Formung) vollzieht sich an einer Materie,
welche dieser Formung von Haus aus empfänglich ist, sie
gleichsam als Vorzeichnung schon in sich trägt. Dies setzt
aber voraus, daß sie selbst (wie es in der Tat Leibniz annahm)
an sich ins Unendliche geformt, in nichts durchaus formlos
ist, auch da nicht, wo für uns keine Formung erkennbar ist.
Materie (#/??) heißt Bauzeug. Als solches ist sie freilich nicht
selbst der Bau, aber doch in Zweckbeziehung auf ihn kon¬
stituiert, für ihn nicht bloß tauglich, sondern schon vorgebil¬
det. Nichts aber verbietet uns, die Konsequenz der Sache
fordert vielmehr, der Materie jederzeit, auf jeder Stufe eine
Eigenform zuzutrauen. Eine solche erkennen wir z. B. im
Holz oder Tierfell als möglichem,,Stoff“ zu solcher und solcher
Verwendung. Solche Bildungsformen aber läßt auch die
mineralogische Struktur und läßt der Aufbau der chemischen
Elemente durchweg erkennen. Fast schon aus den letzten
Schlupfwinkeln ist durch die tiefer dringende Forschung die
irreführende Voraussetzung einer absolut strukturlosen Ma¬
terie vertrieben auf Nimmerwiederkehr.
Die große Folge hieraus ist, daß die ganze feindliche Tren¬
nung einer allein lebendigen, zwecktätigen, individualen Gei¬
stigkeit von einer durchaus zwecklosen, individuitätslosen,
toten Masse fällt; mit ihr jede Vorstellung einer Wegentwick¬
lung des Menschen von der Natur, der Zerreißung der Welt
in eine geistfremde, geistfeindliche Materie und einen natur¬
fremden, naturfeindlichen Geist; als ob wirklich in der weiten
Welt der Teufel sein Spiel triebe und Gott nur, wie auf eine
Insel verschlagen, in einem engen Bereiche sein Regiment not¬
dürftig aufrecht hielte. Auch die verhängnisvolle Scheidung
der Wissenschaft vom Leben, der Bildung überhaupt, der In-
tellektualität, der künstlerischen Gestaltung von einem nur
Natorp, Vorlesungen über prakt. Philosophie.
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