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Kap. IX. § 215.
mehr Sollen, doch aber Sein des Sollens selbst; dagegen nicht
Sollen des Seins, sondern vielmehr Überwindung des bloßen
Sollens zum Sein. Wie auch das, und gerade das, Gemein¬
schaft und erst die tiefste Gemeinschaft gründet, bedarf
jetzt nicht mehr des Beweises.
Das letzte Glied aber in dem Aufstieg der formalen Ge-
staltungder Erziehung oder, wie wir soeben umfassender sagten:
der Menschwerdung des Menschen, ist Philosophie. Wenig¬
stens bei allen ernsten und großen Philosophen, die wahr¬
lich Erzieher des Menschengeschlechtes oft für Jahrtausende
waren, bedeutet sie dies nicht bloß mit, sondern geradezu
in erster Linie. Dann wird Philosophie selbst Schöpfung,
Schöpfung Philosophie.
§ 215. Darüber bleibt dann nur noch ein Letztes. Man
nennt es Religion. Ich möchte, man dürfte es anders nennen,
weil sich ein ganzes Knäuel von Mißverständnissen an dies
Wort zu knüpfen pflegt. Doch mag es immerhin gebraucht
werden als erste, nun einmal gemeinverständlichste Hin¬
deutung auf das gemeinte Fragegebiet. Wie verhält sich nun
dies zu Philosophie und Geschichte? Was hierüber in dem
Buche ,,Sozialidealismus“ gesagt worden ist, befriedigt nicht
ganz. Ich möchte jetzt sagen: Philosophie ist Eroberung der
Form, Geschichte ist die Formung selbst; das Dritte, Schöp¬
ferische, zuletzt Formgebende ist, in unserer Redeweise: der
Geist. Er ist schöpferisch, aber nicht Schöpfung nur, sondern
mehr als das, nämlich Schöpfungsgrund. Darin erst, in der
Rückwendung dahin, kommt zur völligen Deckung das Letzt¬
individuale mit dem Letztuniversalen; was Religion be¬
schreibt als Einswerden der Seele mit Gott, Gottes mit der
Seele, Gottschauen, dagegen Befreiung, Erlösung von der
Welt; aber dann auch Erneuerung, Wiedergeburt, Kommen
des Himmelreichs, als des Reiches Gottes — auch auf Erden,
denn ,,das Wort ward Fleisch“.
Geht das nun noch die Erziehung an ? Am Ende nicht,