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Kap. VII. § 163.
densstifter, erzeugt erst die höhere Idee der Gerechtigkeit,
indem diese seinen leicht vergessenen Zweck der Friedens¬
förderung auf sich nimmt, sich für das Recht selbst als Ma߬
stab aufrichtet und auch für Lebensgebiete, zu denen das
Recht noch nicht hinlangt, zur Norm wird. Gerechtigkeit
ist, nicht nur was dem gegebenen Rechtszustand entspre¬
chend, sondern was der Rechtsidee entsprechend den Frieden
fördert.
Angreifbar erscheint mir an dieser sonst in manchem
wohl annehmbaren Konstruktion die Voraussetzung der
Beziehungslosigkeit als des ursprünglichen Zustands mensch¬
lichen Zusammenseins. Merkwürdigerweise beruft sich
Wilbrandt für diese Voraussetzung auf die Erfahrungen an
der frühen Kindheit, welche, von täppischer Rücksichts¬
losigkeit, ja gefühlloser Roheit ausgehend, erst allmählich
zu etwas von Mitgefühl erwache, oder erst durch Erziehung
(die auch hier wieder ganz heteronom erscheint) dazu geführt
werde; wodurch dann gegenseitige Annäherung ermöglicht
und Streit vermieden werde. Das ist gewiß unzutreffend
und ebenso von vornherein unwahrscheinlich wie der ein¬
fachsten Erfahrung widerstreitend. Das Kind wird geboren
zur engsten, zartesten — nicht Gesellschaft, sondern Ge¬
meinschaft, nämlich mit der Mutter; wie sollte es Roheit,
Fühllosigkeit und gar Feindschaft mit zur Welt bringen?
Wo nicht ungünstige äußere Lebensbedingungen oder üble
Erbschaft dem allzu stark entgegenwirken, wird man Kinder
zartfühlend, liebefähig und liebebedürftig und, sobald die
Intelligenz dazu reif genug ist, auch in hohem Maße fried¬
willig finden. Und das Gleiche beobachtet man vielfach bei
primitiven Völkern, die ja auf den untersten Stufen kaum
Völker, sondern nur wenig erweiterte Familien sind. Die
Erfahrung bestätigt, wohin ich nur sehe, daß Gemeinschaft
das Erste, freilich zunächst im engsten, unmittelbaren und
beständigen, eben familienhaften Zusammenleben beschlos¬