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Kap. V. § 83.
löre das Werkschaffen selbst einen wesentlichen Zug seines
Charakters. Im Theoretischen ergibt sich daraus die Be¬
deutung der Wissenschaft als Forschung, in welcher ja der
Sinn des zielgerichteten Suchens und Nachgehens, des Er-
arbeitens und oft harten und schweren Ringens deutlich
genug liegt. In der Gewissenhaftigkeit des Forschens kann
sich hohe Tugend des Wahrheitswillens beweisen. Dies alles
trägt deutlich den Stempel des Praktischen, des Sich-für-
etwas-einsetzens; mit einem WTort: Wissenschaft ist Werk.
Aber man braucht gar nicht bis zu dieser Höhe hinaufzu¬
steigen, um über den wesentlichen Anteil der Praxis an der
Erarbeitung des theoretischen Gehalts sich klar zu werden.
Fast noch belehrender dafür ist das Studium gerade der pri¬
mitivsten Erarbeitung der Seinsvorstellungen, der sicheren
Erfassung und Bezeugung des so Erarbeiteten im sprach¬
lichen Ausdruck besonders beim Kinde gerade im frühesten
Werdestadium. Da zeigt sich so recht, ein wie intensives,
schwerstes Arbeiten es ist, wodurch alles das, was jetzt mit
jedem Augenaufschlag für uns fertig dasteht, vom erwachen¬
den Bewußtsein erst gleichsam erobert, in hartem Kampfe
gegen die ungeheure Übermacht sich überstürzender Ein¬
drücke, von denen es gleichsam überfallen wird, von kaum
merklichen Anfängen, scheinbar von Null aus, in langsamem,
doch stetigem Fortschritt angeeignet, dem spröden Stoff
abgerungen werden muß. Das gerät freilich in gänzliche
Vergessenheit, nachdem eine gewisse, für die nächsten An¬
forderungen eben der Praxis zur Not ausreichende Kompro¬
mißwahrheit, nämlich die der gemeinen Ding- und Hand¬
lungs-Vorstellungen einmal sicher erreicht ist. Über diese
kommen dann weit die Meisten, nachdem sie einmal darin
heimisch geworden sind, nie mehr hinaus. Es ist immer nur
eine verhältnismäßig kleine Zahl solcher, die ein ernsterer
Wahrheitsdrang zu immer weiter führendem Fragen und
Forschen treibt, welches schon eben in diesem Immer-fort-