Typische Sondermythen
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lösende, das allem Leben erst seinen Sinn und Gehalt
schenkt, und auf das hin alle Erscheinungen projiziert
werden müssen, soll ihnen Charakter und Wert zu¬
fließen : diese Rolle und Kraft ist vielmehr der Kunst
eigen. Diese übt eine durchaus mythische Funktion,
wie sich denn in dieser Wertungsart der Kunst die
kulturschöpferische Leistung des Mythus in ästheti¬
scher Sonderausprägung bekundet. „Die Kunst,“ so
heißt es in Wackenroders «Herzensergießungen
eines kunstliebenden Klosterbruders», „schmelzt das
Geistige und Unsinnliche auf eine so rührende und
bewundernswürdige Weise in die sichtbaren Gestalten
hinein, daß unser ganzes Wesen und alles, was an uns
ist, von Grund auf bewegt und erschüttert wird.“
Und weiter in demselben Zusammenhang: „Die
Kunst... schließt uns die Schätze in der menschlichen
Brust auf, richtet unseren Blick in unser Inneres und
zeigt uns das Unsichtbare, ich meine alles, was edel,
groß und göttlich ist, in menschlicher Gestalt... Die
Kunst stellt uns die höchste menschliche Vollendung
dar.“ In dem nur wenige Seiten umfassenden Aufsatz:
«Die Ewigkeit der Kunst», der die Steigerung der
Kunst zum sinndeutenden und erlösenden Mythus in
aller Stärke ausdrückt, heißt es geradezu: „Alles, was
vollendet ist, das heißt, was Kunst ist, ist ewig und
unvergänglich ... ein vollendetes Kunstwerk trägt die
Ewigkeit in sich selbst... In der Vollendung der
Kunst sehen wir am reinsten und schönsten das ge¬
träumte Bild eines Paradieses, einer unvermischten
Seligkeit... In sich selbst trägt die Gegenwart der
Kunst ihre Ewigkeit und bedarf der Zukunft nicht,
denn Ewigkeit bezeichnet nur die Vollendung.“ Die
Kunst hebt uns, unser irdisches Dasein über Tod und
Vergänglichkeit hinaus, da sie „in sich keine Be¬
dingungen kennt, und ihr Ganzes keine Teile hat...
Laßt uns darum unser Leben in ein Kunstwerk ver¬