52
Mythus und Kultur
nasialdirektoren Jachmann und Passow, in Süd¬
deutschland bei Friedrich Jacobs und Friedrich
Thiersch: bei ihnen allen mischte sich in ihre Griechen¬
verehrung die politische Auswertung derselben für na¬
tionale Zwecke, für die Stärkung und Vertiefung des
deutschen Gedankens. Der sich allmählich bildende
politische Wille hatte seinen Leitstern in dem Ideal der
«höheren Geisteskultur» der Griechen; denn hier
glaubte man die ersehnte Verbindung von erhabenem
Weltbürgertum mit selbstbewußtem Nationalstolz in
vorbildlicher Einheit und Verwirklichung vor sich zu
haben. Und höchst wahrscheinlich, daß allen diesen
Männern, deren Reihe sich noch um eine beträchtliche
Zahl der klingendsten Namen vermehren ließ (Lessings
„Phiiotas“), die Idee des Staates und der Begriff der
Nation erst Gestalt und Klarheit gewannen durch
jenen Mythus, den ihre Begeisterung sich von der
politischen Existenz und den politischen und natio¬
nalen Kämpfen der Griechen schuf.
* *
*
C.
Während sich in dem Bi Id ungs-Mythus des
Neuhumanismus eine bezeichnende Ver¬
webung ethischer, ethisch-politischer und ästhetischer
Züge äußert und die Eigentümlichkeit dieses Mythus
und das Geheimnis seines Ansehens und Einflusses
aut dieser Verwebung beruhen, vollzieht sich die
Verabsolutierung ausschließlich ästhetischer Momente
in dem Mythus von der Kunst. Es ist die Ro¬
mantik, die diesen Mythus schafft. Ihr ist nicht
ein philosophisches System, auch nicht der Wert
sittlicher Harmonie und harmonischer Sittlichkeit das
Ewige und Unbedingte, das Vollkommene und Er¬