Full text: Mythus und Kultur

Die allgemeine.Bedeutung des Mythus 25 
seinen ewigen Vernunftbedingungen als den Prinzipien 
seiner Phänomenalität fragt, wo er sich zur Unbe¬ 
dingtheit erhebt. Der geschichtlich am häufigsten zu 
beobachtende Prozeß dieses Unbedingtwerdens oder 
auch nur dieses Verlangens nach Unbedingtheit hat 
die Form, daß ein einzelnes Kulturgebiet, sagen wir 
die Philosophie oder die Religion, über das ursprüng¬ 
liche Feld seiner Entstehung und Geltung hinaus zur 
Herrschaft über die ganze geistige Ebene und Tiefe 
einer Zeit strebt, sich in die Stellung der Allgemein¬ 
heit und Allgemeingültigkeit einschiebt und nun alle 
übrigen Tendenzen, Arbeiten, Einrichtungen der Zeit 
mit seinem Wesen erfüllt, sie gleichsam umklammert. 
Der Akt der Annahme und Anerkennung solcher 
Grundbedingungen, denen metaphysische Geltung 
innewohnt, dient allem empirischen Gebahren und 
Verhalten zur Voraussetzung: er hat durchaus kon¬ 
struktiv-mythische Bedeutung und stellt eine völlig 
autonome Geistestat dar. Die sich in ihm und mittels 
seiner vollziehende prinzipielle Wendung des Lebens 
ist mit Hilfe der Wissenschaft nicht weiter erklärbar. 
Wir stehen hier vor einer durchaus spontanen Frei¬ 
heitshandlung, die allein kraft ihrer selbst, wie die 
idealistische Philosophie uns gelehrt hat, die Er¬ 
scheinungen des Lebens zur Höhe des Wertes und der 
Würde steigert und ohne deren Vollzug nicht einmal 
von einem Seienden mit Vernunft und Sinn gesprochen 
werden kann. Diese Wendung kann religiösen Charakter 
haben und zu einem religiös gearteten Mythus führen; 
sie braucht es aber mit nichten. Sie kann ebensogut 
einen ethischen, ästhetischen, politischen, intellektuell¬ 
wissenschaftlichen Charakter aufweisen und hat einen 
solchen im Laufe der geschichtlichen Entwicklung oft 
genug aufgewiesen und dann eine Verabsolutierung und 
Verewigung der sittlichen,der künstlerischen,der staat¬ 
lichen, der wissenschaftlichen Prinzipien gezeitigt.-
	        
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