ist, zuneigen und sich von seinem Gegenteil abwenden;
oder es muß sich dem Bösen zu- und abwenden von allem,
was edel und gut ist.
In dem Fall allein nennen wir nun ein Geschöpf edel
und tugendhaft, wenn es den Begriff des allgemeinen
Interesses zu fassen und zu ernsthaftem Denken oder zur
Wissenschaft von dem zu gelangen vermag, was moralisch
gut und böse, bewundems- und tadelnswert, recht und
unrecht ist. Denn wenn wir auch im gemeinen Leben
sagen, ein schlechtes Pferd habe Untugenden, so sagen
wir doch niemals, ein gutes, noch irgend ein bloßes Vieh,
ein Idiot oder alberner Tropf, sie mögen noch so gutmütig
sein, seien rechtschaffen oder tugendhaft.
Wenn also ein Geschöpf edelmütig, freundlich, verlä߬
lich, mitfühlend ist, aber doch nicht über das, was es
selbst tut oder andere tun sieht, nachdenken kann, um
Kenntnis von dem, was schätzbar und rechtschaffen ist,
zu erlangen und diese Kenntnis oder diesen Begriff von
Wert und Rechtschaffenheit zum Gegenstand seiner Nei¬
gung zu machen: dann hat es nicht den Charakter eines
tugendhaften Wesens. Denn nur so und nicht anders ist
es fähig, ein Verständnis von Recht und Unrecht, ein
Gefühl oder Urteil darüber zu haben, ob etwas aus gerech¬
ter, angemessener und guter Neigung oder aus deren
Gegenteil geschehen sei.
Alles, was aus unangemessenen Trieben geschieht, ist
boshaft, schlecht und unrecht. Ist der Trieb angemessen,
gesund und gut und sein Gegenstand solcher Art, daß
es zum Vorteil der Gesellschaft gereicht, wenn er immer
auf die gleiche Weise verfolgt und erstrebt wird: so muß
dies notwendig das ausmachen, was wir Billigkeit und
Recht in einer Handlung nennen. Denn unrecht ist nicht
solche Handlung, welche bloß die Ursache eines Schadens
ist (bei dieser Annahme würde ein ehrerbietiger Sohn, der
auf einen Feind zielte, aber aus Versehen oder durch einen
unglücklichen Zufall seinen Vater tötete, ein Unrecht
tun); sondern zur Natur des Unrechts gehört, daß etwas
aus mangelhaften oder unangemessenen Affekten ge¬
schieht (wenn also etwa ein Sohn keine Rücksicht auf die
Sicherheit seines Vaters zeigt oder wenn Hilfe nottut,
diesem einen gleichgültigen Menschen vorzieht).
Auch Schwäche und Unvollkommenheit der Sinne kann
nicht die Veranlassung von Bosheiten und Unrecht sein,
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