Die Begierde, die aus der Vernunft hervorgeht, läßt
uns unmittelbar dem Guten folgen und das Böse fliehen.
Die Erkenntnis des Guten und des Schlechten ist
nichts anderes als der Affekt der Lust oder Unlust, so¬
fern wir uns desselben bewußt sind.
f) Tugend und W issen.
Ein wirklich tugendhaftes Leben führen, das bedeutet
nichts anderes als ein Leben nach der Leitung der Ver¬
nunft. Ohnmächtig und untüchtig dagegen ist der
Mensch, der die Bestimmung über sein Leben an andere
Wesen und andere Dinge verloren hat und nicht das tut,
was die Natur des eignen Ichs von ihm verlangt.
Handeln und leben, so wie die Vernunft es heischt,
und seine Existenz erhalten — diese drei Bezeichnungen
decken sich in ihrem Inhalt. Ein solches Leben ist ge¬
tragen von dem Streben nach dem wahren Nutzen.
Das Streben, das aus der Vernunft hervorgeht, richtet
sich auf nichts anderes als auf Einsicht; und einer Seele,
in welcher die Vernunft regiert, gilt nur das als nützlich,
was zur Einsicht beiträgt.
g) Das höchste Gut und Glück.
Für das Leben ist es vor allem nützlich, die Vernunft
mit aller Kraft vollkommener zu machen. Darin allein
besteht das höchste Glück des Menschen. Und das ist
sein letzter und sein höchster ZwTeck und in Wahrheit
seine größte and edelste Begierde, mit deren Hilfe er die
Herrschaft über alle anderen zu erlangen trachtet, näm¬
lich sein eigenes Ich und alle Dinge, die in den Umkreis
seines Denkens fallen können, in adäquater Weise zu be¬
greifen.
Ohne Erkenntnis ist ein vernünftiges Leben unerreich¬
bar. Und gut sind die Dinge lediglich insofern, als sie
den Menschen darin unterstützen, sich seines Geistes zu
bedienen. Was ihn aber an der Vervollkommnung des
Verstandes und an dem Genüsse eines vernünftigen
Lebens hindert, das allein ist schlecht.
Das höchste Gut und die höchste Tugend des Geistes
ist die Erkenntnis Gottes.
Je mehr wir die Einzeldinge erkennen, um so mehr
erkennen wir auch Gott.
70