löst der Geist sich vom Affekt, er schafft sich die helle
Welt der klaren Vorstellungen und Begriffe, und durch
sie gelangt er zu völliger Befriedigung und Ruhe. Und
umgekehrt befreit sich der Affekt von dem Gedanken an
die äußere Ursache, die ihn sich hat entzünden lassen,
und er verbindet sich mit wahren und deutlichen Ge¬
danken. Auf diese Weise zerfallen nicht nur Haß und
Liebe in Nichts, sondern auch die Triebe und Begierden,
die aus einem solchen Affekt hervorzugehen pflegen,
können die dem Menschen zuträglichen Grenzen nicht
mehr überschreiten.
Denn man achte nur darauf: Es ist ja ein und der¬
selbe Trieb, der den Menschen zum Herrn über sich oder
zum Sklaven macht. Ein Beispiel: Von Natur aus will
jeder Mensch, daß alle anderen sich seinen Forderungen
anbequemen und ihm gehorchen. Dieser Wille ist bei
einem Menschen, der sich Vernunftbestimmungen nicht
unterwirft, eine Leidenschaft: der Ehrgeiz nämlich, und
vom Hochmut ist dieser Affekt nicht sehr verschieden.
Wer dagegen sein Leben nach der Weisung der Vernunft
einrichtet, der betätigt in jenem Triebe eine Tugend,
nämlich das Pflichtgefühl.
Alle Triebe und Begierden sind Leidenschaften nur
insofern, als sie ihre Grundlage in unklaren Ideen haben.
Sobald sie aber von adäquaten Ideen wachgerufen wer¬
den, erweisen sie sich als Tugenden.
Die wahre Erkenntnis ist das beste und zugleich das
einzige völlig in unsere Macht gelegte Heilmittel gegen
die Affekte. Denn alle Macht und Fähigkeit der Seele
besteht ja in dem Denken und in der Bildung von Ideen,
die adäquate Geltung haben.
¿e mehr wir danach streben, die Leitung über unser
en ausschließlich der Vernunft zu übergeben, um so
mehr wächst auch unsere Unabhängigkeit von Furcht und
Hoffnung und damit unsere Herrschaft über das Geschick.
Nur wenn wir der Stimme der Vernunft gehorchen,
sind wir innerlich gerüstet, um von zwei Gütern das
größere und von zwei Übeln das kleinere zu erwählen.
Wer das Gute tut aus wahrer Erkenntnis und aus
Liebe zu ihm, der handelt frei, und seine Gesinnung
schwankt nicht hin und her; wer aber aus Furcht vor
einem Übel handelt, der steht unter ihrem Zwange, und
ihm fehlt die Freiheit der Entscheidung.
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