Full text: Ethik

liehe Streben des Menschen nach Selbsterhaltung. Und 
alles Glück besteht in dem Erfolge dieses Strebens; 
zweitens: die Tugend stellt einen Selbstzweck dar; 
es gilt, sie um ihrer selbst willen zu erstreben. Es gibt 
auch keinen trefflicheren und nützlicheren Zielpunkt 
alles Strebens als eben sie; 
drittens: die Selbstmörder sind Opfer ihrer Gemüts¬ 
schwäche. Sie brechen unter dem Anprall der äußeren 
Ursachen, die sich ihrer Natur entgegensetzen, kraftlos 
zusammen. 
Je mehr jemand danach strebt, sein Wohl zu suchen, 
das heißt: je größere Kraft er für seine Selbsterhaltung 
einsetzt, und je größer sein Erfolg ist, um so tugend¬ 
hafter ist er; unterläßt er das alles aber, dann ist er 
eben ohnmächtig und untauglich. 
Kein Mensch verschmäht aus den Gesetzen seiner 
Natur heraus Nahrung und Leben. Lebens Verneinung 
und Selbstmord können sich nur unter dem Zwange 
äußerer und dem natürlichen Lebenswillen entgegen¬ 
gerichteter Umstände ergeben. Zum Beispiel: Jemand 
hält zufällig in seiner Rechten ein Schwert; ein anderer 
dreht ihm mit Macht die Hand um und zwingt ihn auf 
diese Weise, die Waffe gegen die eigene Brust zu kehren. 
Oder ein Mensch öffnet sich auf Befehl eines Tyrannen, 
wie im Falle Senecas, die Adern. Er tut es, um sich 
einem größeren Übel mittels eines geringeren zu ent¬ 
ziehen. Ein dritter endlich nimmt sich das Leben unter 
dem Drucke äußerer Ursachen, die seinen Geist so stark 
beeinflussen und seinen Körper so erregen, daß sie ihn 
in einen, seiner ursprünglichen Natur ganz entgegen¬ 
gesetzten Zustand bringen, von dem die Seele von Haus 
aus keine Vorstellung besitzt. Daß aber der Mensch aus 
der Notwendigkeit seines ihm angeborenen Wesens heraus 
nach einer Verneinung seines Daseins oder nach der Er¬ 
langung einer gänzlich anderen Lebensform streben sollte, 
ist ebenso ausgeschlossen, als daß aus Nichts Etwas werde. 
Der Grad der Vollkommenheit eines Dinges entspricht 
genau dem Grade seiner Tätigkeit und Aktivität; je 
aktiver ein Ding ist, um so vollkommener ist es auch. 
Das Zeitmaß kommt für die Frage der Vollkommen¬ 
heit nicht in Anschlag. 
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