sage, das höchste Gut ist eine unverwüstliche Beharrlich¬
keit und Umsicht und Tiefblick und Gesundheit und
Freiheit und Harmonie und Schönheit der Seele: willst
du dann noch etwas Herrlicheres, worauf es bei all diesem
abgesehen wäre ? Was redest du mir von Vergnügen ?
Des Menschen Glück will ich, nicht des Magens; den hat
Vieh und Bestie von weiterem Umfang.
„Du tust, als verständest du nicht," entgegnet man,
„was ich behaupte. Ich sage ja, es könne niemand ange¬
nehm leben, ohne zugleich auch tugendhaft zu leben; das
aber kann ja nicht der Fall sein bei den sprachlosen
Tieren, und ebenso bei denen, denen das Essen den Ma߬
stab für ihr Wohlsein abgibt. Klar und offen, verstehe
mich, stelle ich den Satz auf: dies Leben, das ich ein
angenehmes nenne, könne man nicht erreichen, ohne daß
Tugend dabei ist."
Allein wer weiß nicht, daß auch die größten Toren im
vollen Genüsse dessen sind, was euch Vergnügen ist ? und
daß Niederträchtige mehr als viel Angenehmes haben, und
daß die Seele selbst schlechte und zwar viel schlechte
Arten des Vergnügens veranlasse? vor allem Stolz und
Selbstüberschätzung und Aufgeblasenheit, die sich über
andere erhebt, und blinde, umsichtslose Vorliebe für das
Eigene, schlaffe Weichlichkeit, unmäßige Freude über
Kleinigkeiten und Kindereien, dann Geschwätzigkeit und
unverschämte Schmähsucht, Faulheit und Abspannung
eines trägen, schläfrigen Sinnes: das alles läßt die Tugend
nicht gelten und zupft dich beim Ohre, und sieht erst,
was an dem Vergnügen ist, ehe sie es zuläßt; und wenn
sie auch zu diesem oder jenem ihr Ja gegeben, so legt sie
keinen Wert darauf; — daß sie es zuläßt, ist alles, und
nicht der Genuß, sondern die Mäßigung darin ist ihre
Freude. Wenn aber Mäßigung dem Vergnügen Abbruch
tut, ist sie ja ein Frevel an dem höchsten Gute. — Du um¬
fassest das Vergnügen, ich dämpfe es; du genießest das
Vergnügen, ich mache Gebrauch davon; du hältst es für
das höchste Gut, ich nicht einmal für ein Gut; du tust
alles des Vergnügens wegen, ich nichts. Wenn ich sage,
ich tue nichts des Vergnügens wegen, so rede ich im
Namen des Weisen, dem du doch allein Vergnügen zu¬
erkennst.
Das ist mir aber kein Weiser, über dem irgend etwas
steht, vollends gar das Vergnügen. — Und siehe, wenn er
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