sicht, so heißt er tollkühn; wer aber durch ein Übermaß
von Furcht und einen Mangel an Zuversicht fehlt, heißt
feig.
Bei den Affekten der Lust und der Unlust, nicht bei
allen jedoch und am wenigsten bei allen Unlustempfin¬
dungen, ist die Mitte Mäßigkeit, das Übermaß Zucht¬
losigkeit oder Unmäßigkeit. Menschen, die auf dem Ge¬
biete der Lustempfindungen zu wenig tun, gibt es wohl
kaum. Darum haben auch sie keinen eigenen Namen er¬
halten. Wir wollen sie indessen unempfindlich nennen.
In Geldsachen, im Geben wie im Nehmen, ist die Mitte
Freigebigkeit, das Übermaß und der Mangel Verschwen¬
dung und Geiz, und zwar so, daß beide Fehler beide
Extreme aufweisen, jedoch umgekehrt zu einander. Der
Verschwender gibt zu viel und nimmt zu wenig; der Gei¬
zige dagegen nimmt zu viel und gibt zu wenig. Diese
allgemeinen und summarischen Daten mögen einstweilen
genügen. Später wollen wir hierüber Genaueres fest¬
stellen.
Es gibt auch in Geldsachen noch andere Charakter¬
eigenschaften: die Hochherzigkeit als Mitte (denn der
Hochherzige unterscheidet sich von dem Freigebigen: bei
ihm handelt es sich um großes, bei dem anderen um
kleines), ferner die Sucht, geschmacklosen und großtue¬
rischen Aufwand zu machen, als Übermaß, endlich die
Engherzigkeit als Mangel. DieseExtreme decken sich nicht
mit denen der Freigebigkeit. Inwiefern sie es nicht tun,
soll später gesagt werden.
In Bezug auf Ehre und Schande ist die Mitte Hochsinn,
das Übermaß heißt Aufgeblasenheit, der Mangel ist niede¬
rer Sinn. Wie aber nach dem vorhin Gesagten die Frei¬
gebigkeit, deren unterscheidendes Merkmal darin liegt,
sich im kleinen zu betätigen, sich zu der Hochherzigkeit
verhält, so verhält sich zum Hochsinn, der auf große
Ehre gerichtet ist, eine gewisse Eigenschaft, die auf Ehre
im kleinen ausgeht. Man kann nämlich auf die rechte
Weise nach der Ehre verlangen und mehr, als recht ist,
und weniger. Wer in diesem Verlangen zu weit geht, heißt
ehrgeizig; wer nicht weit genug geht, heißt ein Mensch
ohne Ehrgeiz; wer aber die Mitte einhält, für den fehlt
die bezeichnende Benennung. Ebenso sind die Eigen¬
schaften selbst ohne Namen; nur diejenige des Ehrgeizigen
heißt Ehrgeiz. Und darum erheben hier die beiden Ex-
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