darauf läuft der ganze Unterschied von guter und schlech¬
ter Staatsverfassung hinaus.
Ferner entsteht jede Tugend aus denselben Ursachen,
durch die sie zerstört wird, gerade wie es bei den Künsten
der Fall ist. Durch Zitherspielen wird man z. B. ein guter
und auch ein schlechter Zitherspieler, und entsprechendes
gilt vom Baumeister und jedem anderen Handwerker oder
Künstler. Wer nämlich gut baut, wird dadurch ein guter
Baumeister, und wer schlecht baut, ein schlechter. Wäre
dem nicht so, so bedürfte es keines Lehrers, sondern jeder
käme als Meister oder als Stümper auf die Welt. Gerade
so ist es nun auch mit den Tugenden. Durch das Ver¬
halten im kommerziellen Verkehr werden wir gerecht
oder ungerecht; durch das Verhalten in Gefahren und die
Gewöhnung, vor ihnen zu bangen oder ihnen zu trotzen,
werden wir mannhaft oder feige. Und ganz ebenso ist es
mit den Anlässen zur Begierde oder zum Zorne: die einen
werden mäßig und sanftmütig, die anderen zügellos und
jähzornig, je nachdem sie in solchen Fällen sich so ver¬
halten oder so, mit einem Worte: aus gleichen Tätigkeiten
erwächst der gleiche Habitus, Daher müssen wir uns
Mühe geben, unseren Tätigkeiten einen bestimm¬
ten Charakter zu verleihen; denn je nach diesem
Charakter gestaltet sich der Habitus. Und darum ist
nicht wenig daran gelegen, ob man gleich von Jugend
auf sich so oder so gewöhnt; vielmehr kommt hierauf sehr
viel oder besser gesagt alles an.
Bestimmung des Wesens der Tugend:
a) im allgemeinen: sie ist ein Habitus des Wählens
und Handelns.
Nikomachische Ethik II, 4.
Hiernächst müssen wir untersuchen, was die Tugend
ist.
Da es dreierlei psychische Phänomene gibt: Affekte,
Vermögen und jene dauernden Beschaffenheiten, die man
Habitus nennt, so wird die Tugend von diesen dreien eines
sein müssen. Als Affekte bezeichnen wir: Begierde, Zorn,
Furcht, Zuversicht, Neid, Freude, Liebe, Haß, Sehnsucht,
Eifersucht, Mitleid, überhaupt alles, was mit Lust oder
Unlust verbunden ist; als Vermögen das, was uns für diese
3 Liebert, Ethik.
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