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der Konzentration des Bewußtseins, zugleich mit Er¬
weiterung seines Horizonts. Das war ja die Grund¬
lage dieser ganzen Betrachtung: daß dasselbe Grund¬
gesetz sich bewähren müsse in den Berührungen der
individuell verschiedenen Bewußtseins weiten wie in jeder
für sich. So wie in der innern Welt des „Verstandes“
durch Widerstreit und Ausgleich eine immer tiefere und
zugleich umfassendere Einheit des Verständnisses sich
bildet; wie auf dem Gebiete des „Willens“ das gleiche
Spiel sich wiederholt; so, und zwar in eben diesen beiden
Hinsichten, primärerweise aber in Hinsicht des Willens,
muß sich eine Konzentration von Bewußtsein zu Be¬
wußtsein durch Streit und Vergleich in stetem unbe¬
grenztem Fortschritt vollziehen von bloß äußerer Ge-
sellung zu innerer Gemeinschaft, von „Heteronomie“ zu
„Autonomie“. Und durch dieselben wesentlichen Stufen,
welche die Entwicklung des Einzelnen durchläuft: durch
Arbeit und Willensregelung zum Vernunftgesetz,
muß auch die Gemeinschaft fortschreiten. Die Grund¬
formen des Soziallebens, die Grundarten der sozialen
Tätigkeit, schließlich auch die besonderen sozialen Or¬
ganisation sformen, die direkt der Bildung der Einzelnen
dienen, müssen auf der gleichen Basis sich ableiten lassen.
§ 11.
Das Sittliche in individualer und sozialer
Bedeutung.
Nachdem der tiefliegende Zusammenhang der sitt¬
lichen Vernunft des Menschen mit dem Leben in der
Gemeinschaft sich enthüllt hat, bedarf es erst der Recht¬
fertigung, weshalb wir den Aufbau der sittlichen Welt
gleichwohl mit der Aufstellung eines Systems indivi¬
dueller Tugenden beginnen.
Das Bewußtsein des Willensgesetzes kann sich, dem
Dargelegten zufolge, allein in der Gemeinschaft bilden
und zieht aus ihr fort und fort seine Nahrung. Auch
seiner Geltung und seinem Inhalt nach bedeutet es ein
Gesetz nicht für den Einzelnen allein, oder für eine Viel¬
zahl von Einzelnen bloß aus gleichem Grunde, sondern
an und für sich für die Gemeinschaft. Eine sittliche
Welt, eine eigene Objektwelt des Willens existiert über-
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