Full text: Ethik

den vermeinten Zwang des Naturgesetzes, das doch nie 
unbedingt zu zwingen vermag; denn es selbst ist nicht 
unbedingt; es läßt tatsächlich das Urteildes Willens 
frei. Das Gesetz der Idee dagegen ist eben dann für ihn 
richtend, im Doppelsinn des Richtunggebenden und des 
richterlich Entscheidenden. Diese Freiheit erstreckt sich 
aber bis auf die Handlung, insofern zu deren Begriff ge¬ 
hört, daß sie mit und aus dem praktischen Bewußtsein 
geschieht. 
§ io. 
Erziehung und Gemeinschaft. Sozialpädagogik. 
Der Mensch wird zum Menschen allein durch mensch¬ 
liche Gemeinschaft. Um sich davon auf kürzestem Wege 
zu überzeugen, vergegenwärtige man sich, was wohl aus 
ihm würde, wenn er außer allem Einfluß menschlicher 
Gemeinschaft aufwüchse. Es ist gewiß, daß er dann zum 
Tier herabsinken, daß wenigstens die eigentümlich 
menschliche Anlage sich nur äußerst dürftig, nicht über 
die Stufe einer ausgebildeteren Sinnlichkeit hinaus in 
ihm entwickeln würde. 
Aber der Mensch wächst nun nicht vereinzelt auf, auch 
nicht bloß der eine neben dem andern unter ungefähr 
gleichen Bedingungen, sondern jeder zugleich unter viel¬ 
seitigem Einfluß andrer und in beständiger Rückwirkung 
auf solchen Einfluß. Der einzelne Mensch ist eigentlich 
nur eine Abstraktion, gleich dem Atom des Physikers. 
Der Mensch, hinsichtlich alles dessen, was ihn zum 
Menschen macht, ist nicht erst als einzelner da, um dann 
auch mit andern in Gemeinschaft zu treten, sondern er 
ist ohne diese Gemeinschaft gar nicht Mensch. 
So wie die Sozialwissenschaft das vergaß, wenn sie die 
Gesellschaft aus einer bloß äußeren Verbindung zuvor iso¬ 
liert gedachter Einzelner zu erklären unternahm; wie die 
Ethik es übersah, so oft sie aus dem Egoismus, als, wenn 
nicht überhaupt einzigem, doch einzig ursprünglichemund 
selbstverständlichem i rieb im Menschen, dessen sittliches 
Leben und Denken durch irgend eineEntwicklunghervor- 
gehen ließ; so muß auch die Erziehungslehre in wichtigen 
Hinsichten ihre Aufgabe verfehlen, wenn sie nicht als 
Grundsatz erkennt und an die Spitze stellt, daß Er- 
277 
. 68—80
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.