Übrige verfehlt, wo etwa ein Nutzen zu erwarten stand —
und über eine so wichtige und so umfassende Sache
sollen auch jene Besten im Staat so im Dunkeln tappen,
sie, denen wir die gesamte Leitung in die Hände legen
wollen ?
Adeimantos. Nun und nimmermehr.
Sokrates. Ich glaube also, daß das Gerechte und
Schöne, wie es sich ohne die Kenntnis davon, inwiefern es
denn eigentlich gut ist, im Einzelnen darstellt, keinen
vertrauenswerten Hüter über sich hat an einem, der
hierüber in Unkenntnis ist, und ich möchte vermuten, daß
ohne diese Kenntnis niemand auch mit diesen Einzel¬
dingen richtig Bescheid wissen werde.
Dialog: Menon.
Dreiundzwanzigstes Kapitel.
S. 50/51 So wollen wir es denn auch mit der Tugend halten.
Da wir nämlich hinsichtlich ihrer weder wissen, was sie
ist, noch wie beschaffen sie ist, so laß uns auf Grund
einer Voraussetzung erwägen, ob sie lehrbar ist oder nicht
lehrbar. Und zwar formulieren wir die Sache in Frageform
so: Welche Beschaffenheit muß die Tugend als Teil
unseres Seelenlebens haben, wenn sie lehrbar oder nicht
lehrbar sein soll ? Gesetzt nur zunächst, sie wäre etwas
anderes als Wissen, wäre sie dann lehrbar — was nach
unserer vorigen Erörterung so viel heißt als durch Wieder¬
erinnerung gewinnbar — oder nicht? Beide Bezeich¬
nungen sollen dabei ganz gleich gelten. Nun, ist sie
dann lehrbar? Oder ist es nicht allgemein anerkannt,
daß durch Lehre demMenschen nichts anderes beigebracht
wird als Wissen ?
Menon. Mir wenigstens scheint es so.
Sokrates. Wenn also die Tugend ein Wissen ist, so
ist sie offenbar lehrbar.
Menon. Unstreitig.
Sokrates. Damit wären wir also schnell fertig ge¬
worden. Nämlich: Ist die Tugend von dieser Art, so ist
sie lehrbar, ist sie von anderer Art, dann nicht.
Menon. Gewiß.
Sokrates. Demnächst gilt es nun also wohl zu
untersuchen, ob die Tugend ein Wissen ist oder etwas
vom Wissen Verschiedenes.
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