Full text: Ethik

einer Gattung oder der noch höhere einer natürlichen 
Familie, ist jedes solche Gesetz bestimmend ein Sein? 
so werden wir offenbar bejahen müssen; denn die sämt¬ 
lichen Individuen dieser Art oder Gattung entstehen 
nach diesem Gesetz, und ihr ganzes Dasein in seiner all¬ 
mählichen Entwicklung, Kulmination und Entkräftigung 
verläuft nach demselben. Wenn wir aber nun auf der 
andern Seite gefragt werden: Hängt diesem Gesetz auch 
ein Sollen an? so werden wir soviel ebenfalls bejahen 
müssen, daß wir das Gesetz aufstellen für das Gebiet, 
ohne daß in der Aufstellung zugleich mit gedacht werde, 
daß alles rein und vollkommen nach dem Gesetz ver¬ 
laufe. Denn das Vorkommen von Mißgeburten als Ab¬ 
weichungen des Bildungsprozesses, und das Vorkommen 
von Krankheiten als Abweichungen in dem Verlauf 
irgendeiner Lebensfunktion nehmen wir nicht auf in das 
Gesetz selbst, und diese Zustände verhalten sich zu dem 
Naturgesetz, in dessen Gebiet sie Vorkommen, gerade 
wie das Unsittliche und Gesetzwidrige sich verhält zu 
dem Sittengesetz. 
Das Sittengesetz entwickelt sich uns durch eine Steige¬ 
rung als das höchste individuelle Naturgesetz aus den 
niederen. Die Seinsbestimmung in demselben ist also 
von derselben Art, und das Sollen ist auch von derselben 
Art, nur mit dem einzigen Unterschiede, daß erst mit 
dem Eintreten der Begeisterung das Einzelwesen ein 
freies wird, und nur das begeistete Leben ein wollendes 
ist —, — also auch nur auf diesem Gebiet das Sollen sich 
an den Willen richtet. Im allgemeinen aber ist es überall 
die Forderung der Gewalt des individuellen Seins über 
das elementarische und allgemeine, als des höheren über 
das niedere, und das Naturgesetz liegt nicht auf der ent¬ 
gegengesetzten Seite wie das Sittengesetz, sondern beide 
auf derselben. Also werden auch, was wenigstens das 
Verhältnis des Gegenstandes zum Gesetz betrifft, Natur¬ 
wissenschaft und Sittenlehre keineswegs zwei verschie¬ 
dene Formen haben müssen, sondern sie werden sich 
füglich hineinbilden lassen in eine gemeinschaftliche, 
sobald nämlich die Sittenlehre sich befreit hat von der 
Analogie mit dem Politischen, und die Einsicht hervor¬ 
getreten ist, daß, da das Politische selbst nur durch die 
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