Prot. Auch diese mir zugemutete Betrachtung ist
leicht abgetan. Denn ich glaube, niemand wird irgend
etwas in der Welt finden, das seiner Natur nach maßloser
wäre als die Lust und der Freudenrausch, andererseits
aber auch nichts, was maßvoller wäre als Vernunft und
Wissen.
Sokr. Gut gesagt. Gleichwohl aber beantworte auch
noch das dritte. Hat die Vernunft für uns größeren
Anteil an der Schönheit als das Geschlecht der Lust, ist
mithin die Vernunft schöner als die Lust oder umgekehrt ?
Prot. Aber niemand hat doch die Einsicht und Ver¬
nunft weder wachend noch schlafend je häßlich gesehen
oder auch nur im entferntesten sich vorgestellt, daß sie
es jemals gewesen sei oder sei oder sein werde.
Sokr. Recht so.
Prot. Was aber die Lüste anlangt und zwar gerade
die stärksten, so schämen wir uns selbst, wenn wir irgend¬
einen sich ihnen hin geben sehen, im Hinblick entweder
auf das Lächerliche oder das überaus Widerwärtige, was
ihnen an haftet, und wir suchen es möglichst geheim zu
halten und zu verbergen.
Sokr. Auf alle Weise also wirst du, Protarchos, den
Abwesenden durch Boten, den Anwesenden durch eigenen
Mund verkünden, daß die Lust nicht das erste und auch
nicht das zweite Besitztum sei, sondern daß das erste
in dem Gebiete des Maßes und des Maßvollen und An¬
gemessenen und alles dessen liegt, das, wie man annehmen
muß, der Natur des Ewigen teilhaftig ist.
Prot. So scheint es nach den jetzigen Erörterungen.
Sokr. Das zweite aber in das Gebiet des Symme¬
trischen und Vollendeten und Zulänglichen und alles
dessen, was dieser Klasse zugehört.
Prot. Es scheint so.
Sokr. Und wenn du nun als drittes aller Voraussicht
nach Vernunft und Einsicht setzest, so dürftest du nicht
weit von der Wahrheit entfernt bleiben.
Prot. Vielleicht.
Sokr. Und kommt dir nun nicht die Vermutung,
daß dasjenige, was wir als der Seele selbst gehörend
setzten, nämlich die Wissenschaften, die Künste und die
sogenannten richtigen Meinungen, zu diesen dreien als
viertes hinzukomme, wenn anders sie dem Guten näher
verwandt sind als die Lust?
16