Einteilung der Sittenlehre1.
Der sittliche Trieb fordert Freiheit — um der Frei- s- 547—55°
heit willen. Wer sieht nicht, daß das Wort Freiheit in
diesem Satze in zwei verschiedenen Bedeutungen vor¬
komme ? In der letzteren Stelle ist die Rede von einem
objektiven Zustande, der hervorgebracht werden soll;
dem letzten absoluten Endzwecke, der völligen Unab¬
hängigkeit von allem außer uns: in der ersteren von
einem Handeln, als solchem, und keinem eigentlichen
Sein, von einem rein subjektiven. Ich soll frei handeln,
damit ich frei werde.
Aber selbst im Begriffe der Freiheit, wie er in der
ersten Stelle vorkommt, ist wieder eine Unterscheidung
zu machen. Es kann bei der freien Handlung gefragt
werden, wie sie geschehen müsse, um eine freie zu sein,
und was geschehen müsse; nach der Form der Freiheit
und nach ihrer Materie.
Uber die Materie derselben haben wir bis jetzt unter¬
sucht: die Handlung muß liegen in einer Reihe, durch
deren Fortsetzung ins Unendliche das Ich absolut unab¬
hängig würde. Auf das wie oder die Form wollen wir
jetzt einen Blick werfen.
Ich soll handeln frei, d. h. ich als gesetztes Ich, als
Intelligenz, soll mich bestimmen, also ich soll mit dem
Bewußtsein meiner absoluten Selbstbestimmung mit Be¬
sonnenheit und Reflexion handeln. Nur so handle ich
als Intelligenz frei; außerdem handle ich blind, wie das
Ohngefähr mich treibt.
Ich soll als Intelligenz auf eine bestimmte Weise
handeln, d. h. icVsoll mir des Grundes bewußt werden,
aus welchem ich gerade so handle. Dieser Grund nun
kann kein anderer sein, weil es kein anderer sein darf,
als der, daß die Handlung in der beschriebenen Reihe
liege; oder — da dies nur eine philosophische Ansicht
ist, keineswegs die des gemeinen Bewußtseins — nur der,
daß diese Handlung Pflicht sei. Also ich soll handeln
lediglich nach dem Begriffe meiner Pflicht; nur durch
den G 'danken mich bestimmen lassen, daß etwas Pflicht
sei, und schlechthin durch keinen anderen.
1 Abdruck aus dem „System der Sittenlehre", 1798, in Fichtes
Werke, Bd. II S. 547—550, herausgegeben von Fritz Medicus.
Verlag Felix Meiner, Leipzig.
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